Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

22 und ich habe eine Strumpfwaarenfabrik; wenn die Herrschaften einmal Bedarf haben, so stehe ich gern zu Diensten." Der Rechtsanwalt stellte sich uud seine kleine Frau ebenfalls vor uud nannte ihm die Namen der beiden anderen Ehepaare, und so erfuhr denn Herr Rosemaun, daß der überaus große Herr mit dem mächtigen Vollbart uud der nicht minder großen Dame, der Doctor Steffens nebst Gemahlin sei und der schlanke, hübsche junge Mann mit dem feschen, blonden Weibchen ihm gegenüber der Apotheker Miller, genannt der „schöne Otto" wäre. „Freit mich, freit mich außerordentlich," dienerte der Sachse und sah mit seinen hellen kleinen Aeuglein bewundernd auf die drei jungen, rosigen Frauen- gesichter, welche sich jetzt ihrer dichten Schleier entledigt hatten, und schmunzelnd sagte er: „Das ist ja 'ne wahre Schön- heitsgallerie, eine immer appetitlicher wie die andere. Aber meine Bauliue ist auch nicht übel, das können Sie glauben." Bautz! fiel ein großer Fußsack aus dem Netze dem Sachsen auf die Nase uud ihn unter sich begrabend, erstickte er beinahe den Schlußsatz, mit welchem er sein ehemännlichcs Gewissen beruhigen wollte, weil er eben allzu sehr nach fremden weiblichen Schönheiten geschielt hatte. Unter Lachen und Scherzen befreite man ihn von dem Ungethüm und die Damen, bei denen er sich durch seine galante Bemerkung gehörig in Thee gesetzt hatte, fragten ihn, ob er auch eine Hörnerschlittenfahrt zu unternehmen gedächte. Als er dies bejahte, lud man ihn aufs Freuudlichste eiu, sich der Gesellschaft auzuschließen, was er hocherfreut annahm. Man war kaum eine Stunde gefahren, da verspürte das kugelrunde Ehepaar Franke bereits Hunger uud langte nach einem Körbchen, aus dem vielversprechend der Hals einer Weinflasche und mehrere Wurstenden herauslugten. Auf letztere deuteud sang spottend der Doctor Steffens: „Ihr idealer Lebenszweck Ist Borstenvieh und Schweinespeck!" „Man sieht auch, wo es bleibt," lachte der Apotheker Miller, aber beide Spötter folgten gar bald dem edlen Beispiele und es begann, wenn auch unter erschwerenden Umständen, ein allgemeines Frühstücken. Selbst Herr Rosemann zog einige Brötchen und ein ansehnliches Stück Wurst hervor, welche er sehr behutsam aus der Papierhülse löste. „Sie haben wohl da etwas ganz besonders Gutes?" fragte Frau Miller und sah ihm neugierig zu. „Sie haben's errathen," schmunzelte Rosemann und sein rundes, bartloses Gesicht glänzte förmlich vor Vergnügen. „Sähense, das ist eine Mettwurst, wie Sie wahrscheinlich Ihr Lebtag noch keine gegessen haben. Bitte, Probiren Sie 'mal und schneiden Sie sich 'n Scheibchen ab." Damit reichte er ihr die Wurst und sein geöffnetes Taschenmesser. Frau Miller ließ sich nicht lange nöthigen, schnitt sich ein Stück ab und gab Wurst und Messer weiter. „Ei, das ist wirklich etwas ganz Vorzügliches," lobte sie, nachdem sie gekostet und auch die Anderen, welche sämmtlich an der Wurstprobe theilnahmen, waren entzückt von dem Wohlgeschmack derselben, und Herr Rosemann strahlte vor Freude über das allseitig gespendete Lob und bemerkte nicht, daß die abgeschnittenen Scheibchen immer an Dicke zunahmen, je weiter die Wurst herumkam Als dieselbe ihrem rechtmäßigen Besitzer wieder eingehändigt wurde, war nur noch ein kleines Endchen davon übrig. Verblüfft schaute diefcr auf das winzige Stückchen, wobei sich sein Gesicht bedenklich in die Länge zog, uud auf die eifrig schmausende und lachende Gesellschaft. „Sie sind doch nicht böse, daß wir Sie so beraubt haben?" fragte die Frau Rechtsanwalt Franke. „Nee — ja — i bewahre!" stotterte er verlegen. „Ich dachte bloß so bei

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2