Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

16 Jetzt war die Gelegenheit; ein Steinchen ward vorsorglich eingewickelt; er schwang die Hand und warf es ins offene Fenster. Ihm war's, als hätte er einen Centnerstein von der Brust herunter! Wußte sie einmal das, von seiner Hand geschrieben — dann wollte er Alles, Alles getrost tragen! Eggering sah, was geschah und stürzte hastig gleich in die Stube. Anne Marie war nicht da. - Des andern Tages war Michel Eggering auf dem Gerichte und zeigte ein Päckchen Zunderfäden und ein Stückchen angebrannten Schwamm darin, was ihm ins Fenster geworfen worden wäre. Nachdem Hans am Hause vorübergegangen — gleich darauf! — habe er es entdeckt und gelöscht. Die größte Gefahr war somit verhütet. Der Richter sah ihn sehr scharf an, und die Anklage schien ihm nicht recht ein- zulenchteu. „Seid Ihr bereit, das Alles zn beschworen?" „Was ich sage, ist die reine Wahrheit." „Seid Ihr bereit, das Alles zu beschwören?" „Ja wohl, Herr Gerichtsrath!" „Auf den Heiland und das Crucifix zu beschwören? — — Die Schlußverhandlung muß ohnehin ehestens, noch vor Weihnachten und den Gerichtsfcrien, stattfiuden; und, Herr Michael Eggering, Ihr müsset vor vollem GerichtSralh, als Hauptbelastungszeuge, den heiligen Eid — bei Eurer Seligkeit hier und dort — ablegen!" Der hohe Gerichtshof für schwere Verbrechen war versammelt. Vor einem langen grünen Tische am oberen Ende des Saales saßen in ihrem Amtskleide die würdigen, meist ergrauten Richter. Mitten auf dem grünen Tische stand ein Crucifix und rechts und links bräunten Kerzen dabei. Zur Rechten inr Saale hatte dann der Staatsauwalt und öffentliche Ankläger seinen Platz. Zur Linken war der vom Staate dem armen Jnguisiten beigegebeue Vertheidiger, und vorne, vor den Richtern, . der Jnquisit selbst, über dessen Wohl und Wehe heute entschieden werden, der in die Freiheit oder erst recht ins Elend wandern sollte. Neben ihm waren ' Gendarmen. Im Ranme waren noch die nöthigen vorgeladenen Zeugen und vor den abgeschlossenen Schranken ein Publicum, das sehr ernst und neugierig horchte. Anklageschrift und Lebeusabriß Hans Mosncr's wurden vorgclesen. Es herrschte eine feierliche, fast peinliche Stille. Hans war heute ein ganz Anderer. Als hätte er Alles überwunden und stünde er heute vor einem Gottesgericht, so war es ihm. Er hatte die letzten langen Nächte durchgekäinpft, und da war alles Weh in ihm wie gewaltsam gebrochen. Er sang sogar noch Morgens ein Kirchenlied frisch und fest. Auch von seiner Mutter, die im Himmel für seine Unschuld sprechen müsse, redete er. Und sollte er auch ins Verderben wandern, sagte er nun, so gehe er wie ein Soldat wieder ins Schlachtfeld! Das Urtheil kann höchstens wie eine Kngel sein und reißt mich nieder, oder kostet mich etwas von meinem Körper zeitlebens! — Er forschte sich selbst aus und fand sich rein und makellos, er gedachte an alle Heiligen und Märtyrer! Und als die Reihe an ihn kam, stand er auf und blickte so treuherzig und fest auf Alle, und betheuerte so laut und hell seine Unschuld, daß sich die Richter einander ansahen. Und der Präsident stand auf, nahm ein großes ehrwürdiges Bnch und hielt eine Anrede an die Zeugen über die Heiligkeit des Eides. — Mehrere Zeugen sah man bcben und blaß und roth werden. Michael Eggering war heute feierlich im Sonntagskleids erschieneu, als be- theiligt iu jeder Hinsicht. Wenn er schon

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