Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

7 Hanse, und wie sie ihre düuueu blätterreichen Zweige schüttelnd bewegte», war das leise Rausche» gerade, als ob es ei» absichtliches Accordirc» zu den Zitherklängen wäre, die so liebrührend, so sehnsuchtsiunig dahergezogcn kanien. Und Anne Marie schlief nicht, wie ihr Mann meinte; Anne Marie sah wohl jede Bewegung, die dieser auf seinem Lager gegenüber machte; und sie preßte die Zungenspitze zwischen die Zähne, sie zerdrückte die heißen salzigen Tropfen in ihren Augen, und es hätte ihr die Brnst zersprengen mögen, daß sie diese nicht heben, und nicht schluchzen durfte! Für einen einzigen Aufschrei ihres ganzen wilden Wehs hätte sie Jahre ihres Lebens gegeben! Und sie schob und rückte die zuckende Wange immer auf jeue Stelle, wo ihre Thränen hingeflossen, um diese mit ihrer eigeue» Wärme zu trocknen, und sie legte die fieberisch heißen Arme auf die nassen Flecke zur gleichen Wirkung, damit Michel, ihr Mann, Morgens nichts merke und ihr nicht grolle und Hans kein Leides znfüge. „Mein Gott, was soll aus mir werden, was soll das noch werden!" rang es in ihrem Innern wie Höllen- qual sich hervor; aber das war Alles zu spät, und sie konnte nichts als in Thränen zerfließen, ihre Thränen, zur Vorsorge, fast von ihrem Gesichte mit den Lippen einsaugen, oder sie mit ihrer Leibeswärme von ihrem Bettkissen auftrocknen. Und die Zither klang und sang fort, bis der Morgen am Himmel roth zu werden begann, oder bis im Sang und Klang und in Thränen und Schmerzen die ermatteten Augen der Gequälten zum Schlafe zusanken. „Anne Marie," sagte Eggering zu seinem Weibe, „heute hat die Gemein' Sitzung beim Richter; ich gehe also zum Niederer; Du weißt, die G'meinräths dürfen nicht fehlen; d'rum b'hüt' Di Gott und halt das Haus in Ordnung; bis der Nachtwächter das erste Mal ruft, bin ich z'Haus." Und er drückte einen Kuß anf die blassen Wangen und ging. Und die Sonne war längst hinter den Bergen, und die Akazien vor dem Hause zeichneten ihre schwarzen Schatten auf den vom Monde silbern übergossene» Gassenstaub, der Himmel war so licht nnd klar, die Sterne blinzten wie tausend Feueraugen voll Schelmerei herunter — die Luft war so milde und fächelte ab und zu die Wangen der einsamen Anne Marie, die zwischen den geöffneten Scheiben auf dcm Fensterbrette saß. An der Mauer hinauf, um den Fensterrahmen herum schlang sich ei» alter Weinstock niit seinem Gewinde — und wie Anne Marie da saß im Rahmen des Fensters, den schwarzen Grund des Zimmers hinter sich, ihr Gesicht nnd Oberleib vom hellen Mondschein, über- strömt, vom grünen zierliche» Weiulaube umschlungen, bot sie ein herrliches, reizendes Bild! Die Luft fächelte so ab und zu ihre Wangen, das Weingeränke wiegte sich lieblich, die Akazien rauschten, da------- leise, leise, zog ein Klang sanft und süß herbei, und ward lauter und wehmüthiger, und tönte hell anf nnd verschwamm wieder — leise, leise, so engelhaft, so weich, gar so wehmüthig . . . daß sich Anne Marie bald mit beiden Händen nach dem Gesicht fuhr, nnd sie darüber behielt, nnd darin weinte, wie ein kleines gestraftes, im Schmerze fast vergehendes Kind! Die Klänge ließen auch nicht nach; Anne Marie wußte nicht, wurden sie immer schmerzvoller, herzbewegender, oder war es ihr nur so; aber sie empfand es sicherlich nicht anders. Und plötzlich tönte es aus der Ferne, gar weich nnd leise, aber von einer fast gehauchten zitternden Menscheustimme ihr zu: Geh, magst mi nit, Bin i denn gar so schlecht — Denk nur, denk, i bitt, Amol wor i Dir recht!

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