Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

Hub der Gendarmcvrporal von der nächsten Station, der eben durchkommend sein Glas trank, sagte lachend: Sechs Madel und drei Weiber Geh'n nur auf a Loth — Und wegen aner Liebschaft Hat's überall ka Noth! Aber die hatten Alle gut singen und sagen — Hans hörte nur die Trompetenstöße durch das Dorf, und die Pöllcr und die einzelnen jauchzenden Wein- seligen aus der Ferne, und sah nur im Geiste den frischen Kranz auf Anne Marie's Haupt, und das grüne grüßende Gras auf seiner Mutter Grab. Es war Mitternacht eines der nächsten Tage. Der Mond schien hell und klar mit seiner vollrunden silbernen Scheibe in das Fenster Michael Eggering's hinein. Die Rahmenstäbe und die Blumenstöcke zeichneten sich in schrägen Schatten aufdem schneeweißeuStubenboden, und der lichte- Schein lagerte sich auch über das Kopfkissen des Bettes, auf dem Anne Marie, durch den blassen Schein noch lieblicher gemacht, verklärt lag, wie ein Engel. Von der Ferne tönten leise, leise —' sanfte Klänge einer Zither herüber, Klänge, wie wir uns aus der Kinder- märcheuzeit eine gefangene Seele denken, die mit gar nicht auszusprechender Lieblichkeit ihre Sehnsucht um Erlösung aus- weint, sie singend dahinziehen läßt. Wer die wehmüthigen, sanftbebenden Laute einer Zither je vernommen, der weiß, daß ihr keine Musik in der einfachinnigen Seelensprache gleichkommt, daß ihr Weinen und Klagen einen Ton hat — als wäre eine Menschenstimme, die lauterste und edelste, die man sich nur denken kann, von allem Körperlichen, Rauhen befreit worden, und flöße aus in einer Sprache, die ■— ganz nur im Himmel verstanden wird! Solche Töne schlugen, nein gleiteten sanft an Michel Eggering's Ohr, und er mußte sie unwillkürlich einschlürfen, cin- saugcn wie süßes Gift. „Der verdammte Urlauber!" knirschte endlich der alte Bauer, nachdem er vergeblich versucht hatte, nicht aufzuhorcheu, in sich hinein und schoß gleichzeitig einen stechenden Blick vor sich in die leere Luft. „Mußte der dumme Häusler ihm die alte Zither, die er im Rumpelwerk seiuer Mutter noch gefunden, schenken! — Das Unwesen kann nicht so fortgehen! Wir brauchen keine Nachtwandler im Dorf. Diesen Spu/ auf dem Friedhofe spät Abends muß der Pfarrer verbieten! Setzt sich der Bursche aufs Grab mit der Zither oder auf den Kirchhofzaun und spielt, daß — daß — Einen: das Herz zerspringen könnte! Das. ist wahr, er spielt, daß sich Alle hier vor ihm verstecken müssen. Aber was soll das? Thut ers wegen seiuer Mutter? Die ist lauge todt und hört's nicht. — O, ich weiß, was das soll! Anne Marie, Anne Marie, mein Weib soll das verführen! Anne Marie soll dies Gewinsel und Gewimmer rühren! Aber eher will ich das Haus über meinen eigenen Kopf anzünden und darin zu Grunde gehen, ehe ich ihm das angehen lasse und ihm das gelingen soll! — Wie sie so sauft und ruhig schlaft, die gute Anne Marie! — Sie mag ihn nit, und es is recht gescheit, daß sie ihn nit hört, den Lump und Vagabund! Glaubt er, ich schlafe und sie wacht? Hoho! Der Eggering Michel ist auf seiner Hut und paßt auf! Ich thu' ihr Unrecht, wenn ich sie im Verdacht hab'.— Aber was will er da, der Lump? Kein Hof und kein Feld hat er nit, sein' Mutter und Vater waren nur Hergezogene ins Dorf, er gehört Niem'd zu — er soll fort! Fort mit ihm! — Ich sehe, daß er einberufen wird. — Aber ehe ich aus Commando geh' und er Befehl kriegt, vergehen Monate; und wie lauge dauert's, is er vielleicht wieder da. Er muß fort, fort, auf lauge, aus immer! Aber wie? ------- Warte, ich werde schon ein Mittel finden und Dir helfen — geh' es wie es gehe!" Die sanfte Nachtluft strich zuweilen durch die Akazien in der Nähe, vor dem

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