Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

118 er auf sich geladen, hat er am Todten- bett so zu sühnen gesucht, daß er sein Vermögen dem von ihm geraubten und ausgesetzten Kinde vermachte. Das Geld blieb lange Jahre in unserer Verwahrung, als sich jedoch auch nicht die kleinste Spur von dem Kind wollt' zeigen, verfügte unser gnädigster Herr dessen Einziehung für den öffentlichen Schatz mit der Bestimmung, daß, falls sich die rechtmäßige Erbin dereinst melde und ihre Ansprüche darauf beweisen können, ihr ausreichende Entschädigung dafür werde. - Besaß das Mädchen, als Ihr es fandet, nichts, worauf man auf dessen Abkunft schließen könnte?" Sinnend sah Ritter Ellanperht zur gewölbten Decke des Gemaches empor. „Nichts", sagte er endlich traurig, „es war kein Zeichen in den Linnen und keines in den umhülleuden Decken nur ein goldnes Kreuzlein hatt' der arme Wurm an einer grauen Schnur um das Hälslein gelegt, das ist aber kaum Er- keunungszeichen!" „Vielleicht doch", meinte der Kanzler, „habt Ihr es noch?" „Glanb' wohl", nickte der Alte, erhob sich und trat zu einer Truhe, in deren Tiefen er hastig kramte. „Da", sagte er erleichtert aufathmend nud reichte dem Kanzler einen in Seide gehüllten Gegenstand, „da ist es, Dank und Lob dein Herrn, der mich es behalten und verwahren ließ —" Der Kanzler betrachtete lange und aufmerksam das kleine, unscheinbare, goldene Kreuzlein, das er der umhülleuden Seide entnommen hatte, und fuhr sich dabei einigemale mit der flachen Hand über die gefurchte Stirne, als wollte er sein Erinnerungsvermögen auf's Neue erwecken. „Lieber Ellanperht", sagte er dann freudig aufathmend, „es ist für mich kein Grund zum Zweifel mehr vorhanden, Euerer Hedlvig Abstammung ist erwiesen", und als ihn der Ritter fragend ansah, fuhr er bedächtig fort: Seht, solcher Krenzlein, wie das hier ist, gibt es nur zwei. Unser gnädigster Herr brächte sie vor lvohl schon mehr als zwanzig Jahren aus Venedig mit, wo ein Goldschmied sie ihm angeboten und sie dem Markgrafen sehr gefielen. Er machte sie nach seiner Heimkehr unserer gnädigsten Herrin zum Geschenk, die heut noch eines davon selber trägt. Das zweite Kreuzlein, also dieses hier, gab sie der Mutter Euerer Hedwig, die ihr Hoffräulein gewesen, an deren Hochzeitstage, und die mag es ihrem Töchterlein als Talisman in die Wiege gegeben haben. Sei dem nun lvie immer, mein lieber Ellanperht, anjetzt bin ich in der festen Meinung, unser gnädigster Herr wird Eueren beiden Bitten gern und ohne Säumniß seine Zustimmung nimmernrehr versagen wollen!" — Und so war es auch. Der Markgraf, mächtig erschüttert von den wundersamen Wegen, durch welche die Vorsehung so sichtbar die schützende Hand über des alten Ellanperht's Pflegetochter gehalten hatte, gab nun bereitwilligst die Erlaubniß, daß Hedwig von ihrem Pflegevater adoptirt werde, und bestimmte als Ersatz für das ihr einst als Sühne zugelvendete Vermögen — das Erbe nach ihren Eltern hatten Verwandte längst aufgetheilt - einen Grundbesitz vom heutigen Dachsberg gegen Gleink hinab, und als Hochzeits geschenk gab er dem jungen Paare die Burg am Dachsberg droben, doch sollte Ritter Ellanperht, so er dazu Lust hatte, auch weiters als Vogt darin Hausen können. Nach der Trauung, welche der Klostervorsteher Eberhard von Garsten in der Schloßkapelle in Steyr vollzog, führte der alte Ellanperht Hedwig und deren Gatten Garibert nach dem Dachsberg, allwo der Ritter Alles gar herrlich zum Empfang des jungen Paares vorbereitet hatte. Am festlich mit Reisig geschmückten Burgthor harrte das Gesinde der jungen Herrin und der alte Förster begrüßte das neue Ehepaar in kurzen, schlichten, aber gar herzlichen Worten. Und nun trat aus dem Thorweg, wo er sich bisher verborgen gehalten hatte, ein junger Mönch hervor, in den Armen einen verhüllten Gegenstand baltend, der ebenso-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2