Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

117 nicht nennen, da er nicht mehr zur Besinnung kain und einige Stunden nachher in den Arnien seiner verzweifelnden Gattin verschied. Der Grund des Ueberfalles auf ihn konnte nicht aufgeklärt werden, trotzdem der Markgraf selber die Untersuchung leitete. Haubanfall war es keiner gewesen, denn die Wegelagerer, die ihn drunten bei der Mühle abtvarteten, wußten jedenfalls, daß der Ritter von der Jagd kam, und auf die Pürsche pflegt Niemand besondere Reichthümer mitzu- nehmen, auch war bei der Gastfreundschaft in jenen Zeiten die Mitnahme von Geld überhaupt nicht erforderlich unb im Jagdgebiet um Stadt Steyr befanden sich genug landesherrliche Höfe, wo ein Hofherr freie Unterkunft und freien Tisch fand. Näher lag es, einen Racheact anzu- nehmen, wofür in der That ein Wahrscheinlichkeitsgrund sich fand. Der Erschlagene war seit einundeinhalb Jahren verheiratet und seine nunmehrige Frau ein vielumworbenes Edelfräulein am Hofe zu Steyr genesen; es lag daher nahe, daß einer der abgewiesenen Freier den glücklichen Nebenbuhler aus Rache ermordet hatte oder ermorden ließ. Ein zweiter, ebenso aufregender Vorfall ließ das zur Gewißheit werden. Am Morgen nach der Schreckensnacht war das kaum einige Monate alte Töchterchen des Ermordeten verschwunden und blieb es trotz aller Bemühungen der Mutter, den Aufenthalt des Kindes zu. erfahren. In ihrer Verzweiflung, fast dem Wahnsinne nahe, zog sich die nun ganz einsame, kinderlose Wittwe schon einige Wochen darauf in das Nonnenkloster nach Admont zurück, wo sie aus Aufregung und Kummer erkrankte und kaum einen Monat, nachdem sie auf so schaurige Weise in Einer Nacht den Gatten und ihr Kind verloren, starb. Ihr Tod und der Umstand, daß Markgraf Ottokar V. zu dieser Zeit mit großem Gefolge Steyr verließ, um nach Italien zum Kaiser zn gehen, schloffen das Ereigniß endgiltig ab. Es war keine Zeit, sich um einzelne Menschen zu kümmern, im Augenblicke, wo politische Ereignisse den Laudesherrn in die Ferne riefen, und als der Markgraf nach fast zweijähriger Abwesenheit heimkehrte, dachte Niemand mehr an den ermordeten Ritter und seine unglückliche Familie. An dieses Ereigniß erinnerte sich der Kanzler und bei der ersten Gelegenheit suchte er Ritter Ellanperht in der Vogtei droben auf, ivo es festzustellen gelang, daß der Zeitpunkt der Auffindung des Kindes durch Ritter Ellanperht genau mit jenem des voll ihm gedachten Ereignisses übereinstiinmte. Unbegreiflich schien es dem Kanzler nur zu sein, daß Niemand etlvas von der Auffindung des Kiildes durch Ritter Ellanperht erfuhr. „Das nimmt nlich nicht Wunder", erklärte dahingegen der alte Recke, dessen Innerstes durch die Erzähluirg des Kanzlers tief erregt ivar, „mußt' ich doch noch selbigen Vormittags, als ich die Kleine fand, auf die Reise gen Italien, dem gnädigsten Herrn vorans, der mich mit eiliger Botschaft nach Mailand entsandte, und da gab ich das Kind unverzüglich nach Dietach. Die Pflegeeltern des Kindes wohnten ilnd lvohneir noch weitab von der Straße, denn der Mann ist ein Köhler, der oft monatelang mit keiner Menschenseele zusammenkommt. Es ist daher erklärlich, wenn die Köhlersleut' von dem Kindesraub zu Steyr nichts erfuhren, wo ich selbst feine Ahnung hatte von dem, was sich grad vor meiner Abreise in Steyr ereignet. — Traun, lieber Kanzler, mich wundert jetzt nur das Eine, daß i ch nicht als Kindesräuber belangt werde, denn eigentlich lväre ich, freilich unbewußt und frei von aller Schuld, der Schurken Werkzeug bei der elenden That, die Gott strafen möge an den Urhebern!" „Das ist ja auch geschehen, lieber Ellanperht", sagte der Kanzler ernst, konnte sich aber doch dabei eines leisen Lächelns über des Alten bitteren Hohn, mit dem er seine letzten Worte gesprochen hatte, nicht erwehren. „Der Urheber des Mordes und Kindesraubes ist ein Jahr später zu Rom in einem Aufruhre tödtlich verwundet worden. Die Blutschuld, so

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