Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

112 II. Ritter Ellanperht war in fröhlicher Stimmung aus Garsten weggeritten und trabte langsam gen Stcyr. Sein Schimmel fiel gleich außer Garsten, dort !vo der Weg bergan zu sichren beginnt, in einen ruhigen Schritt, und da ihn der Ritter nicht weiter ermunterte, that der brave Apfelschimmel, ivas er bei solchen Gelegenheiten nicht lassen konnte: er graste links vom Sträßlein und dann riß er tvieder rechts davon ein paar saftige Buchensprossen ab, ivas ihm fein Herr nicht wehrte; wozu auch? Damals war noch fast Urwald zwischen Garsten nnd Steyr, da brauchten iveder Mensch noch Thier mit dessen Schätzen zu sparen. Ritter Ellanperht war überdies sehr nachdenklich geworden und da ivar ihm die Gemüthlichkeit seines Gaules eben recht dazu. So langsam ivie der Schimmel trottete, so schwerfällig durchzogen anfangs die Gedanken des Ritters Haupt, dann immer rascher und endlich enteilten sie der Gegenwart, um Bilder aus längst vergangenen Zeiten ihm vorzuzaubern und sich mit dem heute in Garsten erlebten zu veriveben. Der gute Bruder Lucius, was der nicht Alles sich erhoffte! Er, der alte, steifbeinige Ellanperht, sollte seine goldenen Sporen noch in guter Stilnde vererben? Hei, 31t guter Stunde, die war wohl schon lange, sehr lange vorbei! Ja, damals, als er seinen seligen Herrn, den Grafen Ottokar, nach Rom begleitete und er stets im engeren Gefolge seines Gebieters war, den Kaiser Konrad ') so gern in seiner engsten Umgebung sah, da zog es auch ihn in des höchsten Herrn Nähe — in des Herrn Nähe? Hin, freilich, denn s i e war ja dort und s i c war Hoffräulein der Kaiserin — gewiß, so war es, und damals war es Zeit, seine goldenen Sporen zu vererben, eine Familie zu gründen. Das ivar, ja, das war — und der Ritter lachte gar ingrimmig auf —• im Jahre 1037 und jetzt schrieb man 1085! Vor achtnnd- vierzig Jahren, da hatte er daran gedacht, Namen, Wappen nnb Burg sich von seinem gnädigen Herrn zu erbitten, s i e aber dankte ihm gar höflich für sein Vorhaben und er blieb ledig — jetzt war's längst zu spät! Und der alte, grimme Recke fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen und zerdrückte drin mit rauhem Druck ein Zährlein, das sich sachte, ganz ohne daß er's wollte, dahinein geschlichen, und wohl seit langer Zeit seufzte er ivieder einmal tief auf. „Narrenspossen", mnrmelte er, sich plötzlich emporreckend und schüttelnd, daß der Apfelschimmel, der soeben ein gar so viel saftig Kräutlein 311 schnappen im Begriffe war, erschreckt in die Höhe fuhr und das Schlecken vergessend, antrabte, „schäm' Dich, Alter, schickt sich nimmer für Dich — hast wohl der Sorgen andere!" Und da fiel ihm. jetzt sein Mädel ein! Sein Mädel? Freilich tvohl, seine leibliche Tochter war die Hedivig nicht, aber doch sein Kind, sein Ziehkind. Wird tvohl fast an die zivanzig Jährlein her feilt, als er den armen kleinen Wurm vor deut Gilgenthor -) im Schnee fand, gutgetvickelt iit Linnen und Decken, sonst wäre die Kleine sicherlich erfroren, und das hatte die Rabenmutter nun doch tvohl nicht haben wollen. Und gar seine Linnen und Decken ivaren es, in denen das kleine Würmlein stack, war getviß nicht niederer Leute Kind, Gott allein mag's wissen, wem es gehörte und tvarnm es hier auf so grausame Weise in die Fremde gegeben wurde, der Ritter hatte es nie erfahren können. Aber an sich genommen hatte er die Kleine und sogleich in Pflege gegeben, da er selbigen Tages wieder nach Italien ritt, und für sie gesorgt und sie fast vergessen int Krieg und Streit da draußen in der tveiteil Welt. Erst als er Bogt am Dachsberg droben wurde uitd ihm's zeitweis gar so ') Kaiser Konrad II. regierte vom Jahre 1024—1039. H Bei der heutigen Pfarrkirche, Gilgen- auch St. Aegydithor genannt.

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