Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

97 Mitten in die Festlichkeiten, mit welchen Oesterreichs treuergebene Völker das fünfzigjährige Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josef I., ihres geliebten und verehrten Monarchen, feierten, hat das Schicksal in unbarmherziger Weise eingegriffen; die festlichen Klänge, die jubelnden Ovationen, mit denen die Gesammtbevölkerung des großen Habsburger Reiches ihrem Monarchen huldigten, sind verstummt; an die Stelle der lautaufjauchzenden Freude ist stummer, aber umso tieferer Schmerz getreten und das Jubeljahr Oesterreichs, es ward zum Trauerjahre der civilisirten Welt. Als in den späten Nachmittagsstunden des 10. September 1898 sich in der Haupt- und Residenzstadt Wien die ersten Gerüchte von einem in Genf an Ihrer Majestät der Kaiserin Elisabeth verübten tödtlichen Attentate verbreiteten, da wollte Niemand an die Wahrheit der entsetzlichen Knnde glauben: wer auch sollte es gewagt haben, mit todtbringendem Streiche der erlauchten Frau zu nahen, die Niemandem je etwas zu Leide gethan, die — selbst nur ein krankes Weib — weitab von dem Treiben der Politik stand, nur ihrer tiefen Trauer um den jählings ihr entrissenen einzigen Sohn lebend, eine einsame Märtyrerin anf dem Throne? Und doch war das Schmerzliche, das Unglaubbare, das Entsetzliche wahr; ein Ausgeworfener seines Volkes, eine Bestie in Menschengestalt, ein wahnwitziger Anhänger jener verderbten politischen Secte, die der menschlichen Gesellschaft und ihren Satzungen den Krieg auf Leben und Tod erklärt hat, die Gift, Stahl und Blei zu ihren tückischen Waffen und den Fürstenmord zu ihrem Evangelium erkoren, hat den tödtlichen Stahl tief in das Herz der edelsten der Frauen gebohrt, und damit über den Herrscher eines großen Reiches, über die gesammte Bevölkerung dieses Reiches, ja über die ganze civilisirte Welt nnsägliches Leid gebracht! Eine Separatausgabe der „Wiener Zeitung" vom 11. September 1898, deren amtlicher Theil nur aus den kurzen, inhaltschweren Worten „Ihre Majestät die Kaiserin und Königin, Allerhöchstwelche Sich auf einem Ausfluge in Genf befunden, wurden gestern den 10. d. M. um 3/t2 Uhr Nachmittags auf dem Wege vom „Hotel Beanrivage" zum Schiffe von einem Individuum schwer verwundet. In das genannte Hotel gebracht, verschieden Ihre Majestät eine halbe Stunde danach" bestand, benahm jeden Zweifel an der Wahrheit der erschütternden Kunde: im Augenblicke wurden alle im Laufe befindlichen Festlichkeiten abgebrochen und die weiter in Aussicht stehenden abgesagt. Am Sarge der todten, der gemordeten Kaiserin konnte es ja nur mehr Klagen und Thränen geben. Es war in Jschl am Freitag den 15. Juli, Vormittags um halb 11 Uhr, als Kaiserin Elisabeth ihre Reise nach Bad Nauheim, im Großherzogthume Baden, antrat, um dortselbst Heilung oder doch Linderung ihres (infolge stets zunehmender Blutarmuth, verbunden mit einer schweren Nervenentzündung und vielwöchentlicher Schlaflosigkeit eingetretenen) Herzleidens — eine mäßige Herzerweiterung — zu suchen. Die Kaiserin sah, als sie den Bahnhof betrat, verhältnißmäßig gut aus, nur das etwas geröthete Antlitz zeigte einen leidenden, melancholischen Zug. Sie umarmte und küßte ihren kaiserlichen Gemahl, ihren Schwiegersohn Erzherzog Franz Salvator und schloß ihre Tochter Erzherzogin Marie Valerie in die Arme. Schon wollte sie den Salonwagen besteigen, da wendete sie sich abermals um, drückte dem

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