Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

87 an den Kriegsminister gerichteten Schreiben mit der Enthüllung hervor, daß jenes nicht unterzeichnete und nicht datirte Schreiben, welchem zufolge militärische Documente einer fremden Macht ausgeliefert wurden — das einzige Beweismittel, auf Grund dessen Capitän Dreyfus verurtheilt worden war — von Major Graf Walsin-Esterhazy herrühre. Die Schrift dieses Herrn sei identisch mit jener des erwähnten Documentes. In gewisser Beziehung übte dieser Schritt Mathieu Dreyfus' seine Wirkung, denn nachdem auch der Beschuldigte selbst das Verlangen nach einer Untersuchung gestellt hatte, beauftragte der Kriegsminister den General Pellieux mit der Untersuchung des Falles Walsin-Esterhazy. Als aber Esterhazy am 10. Jänner 1808 formell vor das Kriegsgericht gestellt wurde, als man hörte, daß der Bericht Nun trat aber ein neuer Factor iu die Arena: Emile Zola, der gefeierte französische Romancier. Die „Aurore" veröffentlichte am 13. Jänner 1898 unter dem Titel „J’accuse!“ einen offenen Brief Zola's an Faure, worin es u. A. hieß: „Ich klage Paty de Clam au, der unbewußte, aber diabolische Urheber eines Justizirrthums zu sein; ich klage Mercier der Mitschuld an; ich erhebe gegen Billot die Anklage, die Beweise für die Unschuld Dreyfus' unterdrückt, Boisdcffre und Gouse klage ich an, Hiebei mitgemirkt zu haben; ich klage Pellieux und Ravaryan, eine verbrecherische Untersuchung veranstaltet zu haben. Ich klage ferner die Experten Belhomme, Barinard und Couard an, betrügerische Gutachten erstattet zu haben; ich beschuldige die Bureaux des ßmite Zola. des Untersuchungsrichters nicht eine Anklage gegen Esterhazy, sondern nur ein Document sei, welches Esterhazy reinwasche und den diesem gefährlichsten Zeugen, den Obersten Picquart belastete, als ein Theil der Verhandlung geheim erklärt wurde, als man sah, wie der Vorsitzende des Kriegsgerichtes Esterhazy als den eigentlichen Ankläger, Picquart aber als den eigentlichen Angeklagten behandelte, da konnte man über den Ausgang des Processes nicht einen Augenblick im Zweifel sein. Am 11. Jänner erfolgte denn auch nach einer Berathung von wenigen Minuten seitens des Kriegsgerichtes das Urtheil, wonach Major Esterhazy sreigesprocheu wurde. Dieser Freispruch erregte im chauvinistischen Frankreich unbegrenzten Jubel, wie er aber im objectiveren Auslande aufgefaßt wurde, beweisen die Stimmen der deutschen Blätter, welche übereinstimmend erklärten, daß die ganze Führung des Processes nur als eine Komödie angesehen werden könne. Kriegsministeriums, eine verabscheuungswürdige Preßcampagne behufs Irreführung der öffentlichen Meinung und Vertuschung ihrer eigenen Schuld eiugeleitet zu haben. Ich klage endlich das erste Kriegsgericht au, das Recht verletzt zu haben, indem es Dreyfus auf Grund eines geheimgehaltenen Documentes verurtheilte, und ich klage das zweite Kriegsgericht an, wissentlich einen Schuldigen freigesprochen und diese Ungesetzlichkeit auf Grund eines Befehles verübt zu haben, der an sich ein unter das Gesetz fallendes Vergehen in sich schließt. Mau möge mich vor die Geschworenen stellen und eine offene Untersuchung einleiten. Mein Protest ist ein revolutionäres Mittel, um den Ausbruch der Wahrheit und Gerechtigkeit zu beschleunigen." Der Wunsch Zola's wurde erfüllt: Am 18. Jänner ließ Kriegsminister Billot die Klage gegen Zola und gegen den verantwortlichen Redacteur des Journales „Aurore", Perreux, dem Generalprocurator übermitteln, worauf die

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