Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

84 den Schutz der christlichen Missionsthätigkeit m jener Provinz auf bessere Gruudlagen zu stellen und daneben für Deutschland einen territorialen Stützpunkt zu gcwiunen, welcher der Pflege der deutschen Handelsinteressen und der Befriedigung wirthschaftlicher Bedürfnisse zu Gute kommen iollte. Zur Unterstützung der deutschen Forderungen entsandte Kaiser W ilh clm ein mit Landungstruppen ausgerüstetes Ge- ichwader unter dein Commando seines Brnders, des Admirals Prinzen Heinrich, in die chinesischen Gewässer. Dieses Geschwader stach, nachdem Kaiser Wilhelm au Bord des Kreuzers „Deutschland" vou seinem Bruder Abschied genommen, in der zweiten Hälfte December 1897 in See; sein nächster Zweck war die definitive Besetzung von Kiao-Tjchau, welches die deiitsche Regierung als „territorialen Stützpunkt" in Aussicht genommen hatte. Bereits am 5. Jänner 1898 konnte jedoch der „Reichsanzeiger" die erfolgte Verständigung zwischen der deutschen und der chinesischen Regierung über die Ucberlassuug von Kiao-Tschaü au Deutschland in Form eines Pachtvertrages für längere Dauer melden. Das überlassene Gebiet umsaßt die geiammten Wasserbecken der Kiao-Tschau-Bucht bis zur Hochwasscr- grenze, feruer die südlich und nördlich vom Eingänge der Bucht liegenden größeren Landzungen bis zu deren natürlichen Abgrenzung durch die geeigneten Höhenzüge, sowie die außerhalb der Bucht und vor derselben gelegenen Inseln. Die chinesische Regierung Übertrag für die Dauer der Pachtzeit alle ihr in dem überlassenen Gebiete zustehenden Hoheitsrechte an die deutsche Regierung. Infolge dieser Vereinbarung war die Mission der Flotte des Prinzen Heinrich zu einer eminent friedlichen geworden, was denn auch durch deu im Mai 1898 in Peking erfolgten feierlichen Empfang des Prinzen seitens des Kaisers von China und den gegenseitigen Austausch vou Ehrenzeichen seinen Ausdruck fand. Ein weiterer Conflict war im Laufe der Berichtsperiode zwischen Deutschland und Hayti (S. Domiugo) wegen der einem deutschen Unterthanen vou haytischer Seite zugefügten schweren Unbill ausgebrochen. Da die Regierung die deutscherseits geforderte Genugthuung nicht gewähren wollte, stellte Deutschland ein formelles Ultimatum und gleichzeitig nahm das zur Unterstützung der deutschen Forderung entsandte Kriegsschiff „Stein" gefechis- klar in nächster Nähe der Kriegsschiffe vou Hayti und der Stadt Port-au-Prince Stellung. Das wirkte und eine halbe Stunde vor Ablauf des Ultimatums wurden sämmtliche Forderungen desselben vom Präsidenten der Republik angenommen und anch erfüllt. Die innere Politik betreffend ist zunächst der Anfangs Juli 1897 erfolgte Rücktritt des Staatssecretärs v. Bötticher und die Ernennung des Grafen Posadowsky zum Staats- secretär des Innern, zum Staatsminister und Stellvertreter des Reichskanzlers zu erwähnen. Letzterer erließ aus Anlaß der auf den 16. Juni 1898 ausgeschriebenen Reichsrathswahlen ein Wahlschreiben — an einen notablen Politiker — worin er die „geschlossene Frontstellung" gegen den „revolutionären Socialismus" als Wahlparole ausgab. Trotzdem ergaben diese Wahlen das besonders auch aus dem Stimmenverhältuiß sich ergebende Wachsthum der Socialdemokratie, welche im neuen Hause durch 86 Abgeordnete gegen 48 im alten Hause (2 im Jahre 1871) vertreten sein wird. Am 23. Mai 1898 zeigte der Oberbürgcr- Meister von Berlin, Zelle, dem Magistrate zum 1. October seinen Rücktritt an. Ursache waren immer schärfer werdende Differenzen mit der Stadtverordnetenmehrheit, so namentlich bei der Märzfeier, aus welchem Aulasse ihm die Ablehnung des Stadtverordnetenbeschlusses, den Märzgefallenen einen Denkstein zu errichten, als höfische Rücksichtnahme stark verübelt wurde. Am 23. Juni wurde Bürgermeister Kirschner zu seiuem Nachfolger gewählt. Am 23. April 1898 feierte König Albert von Sachsen (geboren 23. April 1828) unter dem Jubel seines Volkes und der Theilnahme^ zahlreicher gekrönter Häupter — darunter Kaiser Franz Josef und Kaiser Wilhelm — die Vollendung seines 70. Lebensjahres. — Fürst Bismarck feierte am 28. März 1898 sein 60jähriges Militärjubiläum. Wie Oesterreich wurde auch Deutschland von einer Reihe schwerer Unglücksfälle und Katastrophen heimgesucht. Am 22. September kenterte und sank vor Cuxhaven das deutsche Torpedobot 8. 26. Der Commandant Herzog Friedrich Wilhelm von Mecklenburg, ein Bruder des Regenten, und sieben Mann ertranken. Am 30. Juni 1897 verunglückte in Con- stantinopel insolge Zusammenstoßes niit einem anderen Dampser der deutsche Dampfer „Reinbeck"; 20 Mann von der Mannschaft dieses Schiffes, und 2 Mann eines bei der Rettung betheiligten, und vom sinkenden Dampfer zum Umkippen gebrachten Bootes S. M. Schiff „Hum" ertranken. Am 14. August entgleiste zwischen Celle undUelzen ein Durchgangszug; die Maschine flog mehrere Meter weit ins Gehölz; die Wagen wurden fast sämmtlich zertrümmert. Drei Reisende blieben todt, vier wurden schwer, neun leicht verletzt. Am 21. August 1897 ereignete sich in der Station Freilassing der München—Salzburger Strecke ein furchtbarer Eisenbahnunfall. Ein Schnellzug fuhr infolge Versagens der Bremse über die Station hinaus, in den eben die Kreuzung passirendeu, von Salzburg nach Reichenhall fahrenden Localzug hinein. Die vier letzten Wagen des Localzuges wurden von der Schnellzugslocomotive erfaßt und zertrümmert. Ein Todter und zehn mehr oder minder Schwerverletzte waren die Opfer dieser Katastrophe. Der Schnellzug blieb uuvcrsehrt. Am selben

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