Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

75 kurzer, an Conflicten reicher Dauer mit der Ankündigung geschlossen wurde, daß die nächste Sitzung ani 4. November stattfinden werde. Die Rede Dr. Lecher's hatte ihren Zweck erreicht; die Absicht, die Obstruction zu brechen und das Ausgleichsprovisorinm durchzupeitschen, war vereitelt worden, die Kraft des Präsidiums und der Rechten hatte sich als weniger widerstandsfähig erwiesen, als jene der Linken und ihres Dauerredners. Die große Sitzung hatte im . Ganzen 25 Stunden gewährt. Die Sitzung vom 4. November bringt eine neue Dauerrede; diesmal ist es der Abgeordnete Prade, welcher als Generalredner drei Stunden lang seine Argumente gegen das Ausgleichsprovisorium vorbringt. Auch diese Sitzung batte 20 Stunden gedauert und wurde erst am . November um 10 Uhr Morgens geschlossen. Inzwischen hatten die Verhandlungen im Schoße der Rechten wegen Neubesetzung des Präsidiums ihren Abschluß gefunden. David Ritter v. Abrahamovicz wurde als Präsident gewählt, während zu Vieepräsidenten die Abgeordneten Dr. Kramar und Dr. Fuchs berufen Ivurdcn. In der Sitzung vom II. November gelangte der Antrag Funke auf Erhebung der Ministeranklagen wegen der Sprachenverorduungen zur Berathung; derselbe wurde am 12. November durch den mit 177 gegen 171 Stimmen erfolgten Uebergang zur Tagesordnung beseitigt, nach- deni bereits in früherer Sitzung der Antrag auf Erhebung der Ministeranklagen wegen der Egerer Vorgänge in gleicher Weise abgethan worden war. Am 24. November stand die zweite Lesung des Ausgleichsprovisoriums auf der Tagesordnung des Abgeordnetenhauses und hiemit begann eine verschärfte Aufnahme der Obstruction seitens der Linken. Namentliche Abstimmungen eröffnen den Kampf, dann koinmt es zu lebhaften Aussprachen zwischen Abgeordneten der Linken und dem Präsidium; Stürme gegen das Präsidium folgen, Schönerer bemächtigt sich der Glocke des Präsidenten; Herr v. Abrahamovicz unterbricht die Sitzung und fordert die Ordner auf, seinen Tisch von der Gegenwart der Abgeordneten Wolf, Kittel und Genossen zu befreien. Den Ordnern schließen sich freiwillige Helfer von der Rechten au, es kommt zum regelrechten Faustkampfe; über die Minisier- bank stürmt der Succurs der Deutschen; entsetzt sieht das Publicum den lebensgefährlichen Kamvf, der sich unten abspielt; Abgeordneter Pfcrfche ist von Gegnern umstellt, in seiner Nothlage zieht er zum eigenen Schutze das Messer; da erscheint der Präsident wieder auf seinem Platze und — schließt die Sitzung. Den Boden aber bedecken zerstreute, zerrissene Blätter, Zieraten der Ministerbank — das war die erste Schlacht int Parlamente. Es sollte nicht die letzte sein. Der 25. November sollte eine neue Ueber- raschung bringen. In der Sitzung dieses Tages I beantragte Graf Falkenhayn folgende Aenderung der Geschäftsordnung: „Wenn der Abgeordnete, trotz zweimaligen Ordnungsrufes, in seiner Rede, durch Rufe oder Benehmen den parlamentarischen Anstaud gröblich verletzt, steht dem Präsidenten das Recht zu, ihn auf drei Tage auszuschließen, außerdem kaun er mit Beschluß des Hauses 30 Tage ausgeschlossen werden. Bon der Regierung sind Executivorgane bei- zustellen, welche im Falle der Weigerung den Abgeordneten aus dem Saale bringen." Auch beantragte Graf Falkenhayn, seinen Antrag ohne Debatte anzunehmen. Ein ungeheurer Tumult erhob sich nach Einbringung dieses Antrages im Hause, die Kampfscenen der vorhergegangenen Tage erneuerten sich, doch mitten im Tumulte steht die Rechte auf und erhebt die Hände; Präsident Abrahamovicz aber enuucirt, im Gegensatze zu § 80 der Geschäftsordnung, welcher in solchen Fragen eine Abkürzung der Geschüfts- behandlung ausschließt, daß der Antrag ange- nommcu sei. Ungeheurer Lärm, Linealschläge, Kampfscenen auf dem Präsidium sind die rasche Folge der Ueberrumpelung, welche auch eine Sinnesänderung in der Anschauung der christlichsocialen Partei veranlaßte, indem deren Führer, Dr. Lueger, sich in einer Confcrenz der Clubobmänner der Linken namens seiner Partei mit der Opposition solidarisch erklärte; auch die Reihen der katholischen Volkspartei kamen ins Schwanken, indem sich ein Theil derselben — die Tiroler — mit dem Vorgehen der Rechten nickt einverstanden erklärte. Nach mehrfachen Unterbrechungen wurde diese denkwürdige Sitzung geschlossen, worauf der Präsident den Clubobmänncrn erklärte, daß die beschlossene

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