70 erkannt und zu lebenslänglichem schweren Kerker, sowie zur Zahlung einer Entschädigung von 5000 fl. an die Tochter der Ermordeten vcr- urtheilt. Die Schwierigkeiten, welche man der Einleitung des Processes entgegengestellt hatte, die durch das österreichisch-ungarische Geueral- consnlat und die Bemühungen Dr. Genadiew's, als Vertreter der Tochter der Ermordeten, um die Aufdeckung des Verbrechens förmlich erst erzwungen werden mußte, die seltsamen Zustände des Landes, welche durch die traurige Angelegenheit und insbesondere den Verlauf des Processes aufgedeckt wurden, hatten in der österreichisch-ungarischen Presse scharfe Auslassungen über bulgarische Verhältnisse her- vorgernfen, welche den bulgarischen Ministerpräsidenten Stoilow — bei Gelegenheit eines Aufenthaltes mit dem Fürsten Ferdinand Ende Juli in Coburg — veranlaßten, einem Vertreter des „Berliner Localanzeigers" eine Unterredung zu gewähren, welche — nach Meldung des Berichterstatters — einen tiefen Groll gegen Oesterreich athmete. Die dabei gemachten ebenso merkwürdigen als unbedachten Aeußerungen gaben Veranlassung zu diplomatischen Rcclamationeu, welche denn auch Ministerpräsidenten Stoilow bewogen, am 21. August 1897 die formelle Erklärung in Wien abzugeben, daß die im „Berliner Local- anzeiger^ vom 31. Juli >897 veröffentlichte Unterredung des Herrn Stoilow mit dem Coburger Correspondenten des genannten Blattes wesentlich entstellt wiedergegeben worden sei; eine verletzende Absicht gegen Oesterreich-Ungarn und das allerhöchste Kaiserhaus habe dem bulgarischen Ministerpräsidenten vollkomnien ferne gelegen, und er könne daher die fragliche Publication, als seinen Gesinnungen nicht entsprechend, nur lebhaft bedauern. Hiemit war der diplomatische Zwischenfall erledigt. Die Beziehungen zwischen Cis- und Trans- leithanien haben in der Berichtsperiode keine wesentliche Besserung erfahren. Da eine Möglichkeit, rechtzeitig einen definitiven Ausgleich in parlamentarischer Weise zu Stande zu bringen, Lurch die bestehenden iuuerpolitischeu Verhältnisse unmöglich gemacht war, mußte an ein Provisorium gedacht werden, welches denn auch in Ungarn von Seite der gesetzgebenden Körperschaften anstandslos genehmigt wurde, in Cis- leithauien aber gar nicht zur definitiven meri- torischeu Verhandlung im Parlamente gelangte. Auch die specielle Frage der Quotenbestimmung konnte bis zum Schlüsse unserer Berichtsperiode zu keiner Lösung gelangen, da die beiderseitigen Quoteudeputationen über den Schlüssel zur Be-! rechnung der Quote und consequenterweise auch über die Höhe der Quoten keine Einigung erzielten. Damit ist die Erledigung des Ans- gleichswcrkes selbst in immer weitere Ferne gerückt, und auch das Ausgleichsprovisorium könnte in Cisleithanien nur im Wege des das Verorduungsrecht der Regierung regelnden § 14 der Staatsgrundgesetze ins Leben treten, während die Höhe der beiderseitigen Quoten den gesetzlichen Bestimmungen gemäß vom Monarchen bestimmt werden dürfte. Was die oberwähutcn iuuerpolitischeu Verhältnisse CisleithanieNs anbelangt, so haben auch dieselben im Berichtsjahre eine weitere Verschlimmerung erfahren. Die Spracheufrage ist nach wie vor der Punkt, um welchen sich die ganze innere Politik der diesseitigen Reichshälfte dreht und die Ansprüche der Deutschen stehen dies- falls den Prätensionen der Ezecheu noch immer in schroffster Weise gegenüber; jene verlangen die unbedingte, völlige Aufhebung der böhnn- schcu und mährischen Spracheuverorduungcu diese wollen hiezu ihre Zustimmung nicht geben, und die Regierung will ohne Zustimmung beider zunächst interessirter Theile diese Aufhebung nicht verfügen, obwohl die Majorität — freilich nicht die Rechte — des Abgeordneter ho^sts sich mit voller Entschiedenheit dafür ausgesprochen hat. Wir haben unseren vorjährigen innerPolitischen Bericht bis zu der am 2. Juni 1897 erfolgten- Schließung der Session des Reichsrathes durch den Ministerpräsidenten Grafen Badeni geführt und knüpfen dort unseren diesjährigen Bericht an. Die Erregung, unter welcher der Schluß der Session erfolgte, zitterte in vielfachen politischen Kundgebungen nach. Auf den I I. Juli 1897 war in Eger ein deutscher Boltstag einberufen worden, dessen Abhaltung aber von der Behörde verboten wurde, und da letztere drohte, mit Gewalt einem eventuellen Versuche, den Volkstag dennoch abzuhalten, eut- gegcuzutreten, lvurde an die Stelle des Volkstages eine Versammlung der Abgeordneten (Dr. Funke, Dr. Pergelt, Dr. Zdcnko Schücker, Kinder- manu und Jro u. Ä.), Gemeindevorsteher und Bezirksobmänner im Hofe des Stadthauses gesetzt. Hier hielt Dr. Funke unter brausendem Jubel der Versammlung eine kurze Ansprache, welche in ein Gelöbniß ausklang, für die Rechte des deutschen Volkes unentwegt und unerschrocken einzutreten. Hierauf verlas Dr. Pergelt — unter lebhaften Acclamationen — einen Aufruf der deutschen Abgeordneten au das Volk, welches zur Fortsetzung des Kampfes aufgefordert wurde. Fast gleichzeitig fand in Waldsaßen auf bayerischem Boden unter freiem Hiuimel ein Meeting statt, an welchem sich etwa tu.0Ult Personen be- theiligten und welches ebenfalls für Fortsetzung des Kampfes für deutsches Recht und deutsche Art uuv Spräche eintrat. Das Verbot des Volks- tagcs in Eger hatte inzwischen hier zu öffentlichen Manifestationen geführt, gegen welche die Finanzwache, die Gendarmerie, aus Prag berufene berittene Polizeiwachmänner und Militär aufgcboteu wurden, welche von der Hiebwaffe und Gewehrkolben gegen die Bevölkerung Gebrauch machten, wobei mehrfache Verletzungen
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