Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

Er war früher wie gewöhnlich gekommen, zu einer Zeit, von der er wohl wußte, daß er die Frau des Hauses allein antreffen werde. Sie nahm alle Fassung zusammen, um eine Unbefangenheit zu heucheln, die ihr so fern lag! Sie wußte, daß ihr die nächsten Minuten die seligsten Wünsche erfüllen mußten und das Herz klopfte ihr fast hörbar. Er versuchte es, von gleichgiltigen Dingen zu sprechen, aber jedes seinerWorte erschien ihm so unnatürlich, so gelünstelt. Die Dame erwiderte in ähnlicher Weise; und während sie sich abmühte, den alten, freundschaftlichen Ton zu treffen, kamen nur leere, nichtssagende Bemerkungen von ihren Lippen. Es entstand eine Pause. Beide fühlten, daß dieser Unterredung, die schon nahe daran war, peinlich zu werden, ein Ende bereitet werden müsse. Der Professor, der in einem Buch geblättert hatte, machte plötzlich eiue Ge- berde der Ungeduld. Er rückte sich einen Sessel herbei und setzte sich nahe, ganz nahe zu der Dame. „Ich kann nicht länger Verstellung spielen, die meiner und Ihrer unwürdig ist, meine Gnädige," begann er unvermittelt und fast feierlich. Er versuchte zögernd, die schlaf herabhängende Rechte der Frau zu ergreifen, bereu Blicke voll und leuchtend auf ihm ruhten. Sie entzog ihm die Hand nicht. „Ich befinde mich nicht mehr in jenen Jahren," begann er nach einer Weile wieder, und in seinem warmen Tone zitterte es wie von nicht bemeisterter Ergriffenheit, „in denen man mächtigen Gefühleu auch einen überschwänglichen Ausdruck glaubt verleihen zu müssen!" Er drückte leise die erbebende Hand, die er in der seinigen hielt. „Ich habe es nicht für nöthig gehalten," fuhr er gefaßter fort, wobei er es wagte, seinen Blick wieder zu der schönen Fran zu erheben, die mit hochwogendem Busen stumm vor ihm saß, „eine in meinem alten Junggesellenherzen plötzlich emporlodernde Neigung vor Ihren Augen ängstlich zu verbergen, da mir Ihr Betragen alle Hoffnung zu der Erwartung gibt, daß Sie derselben Ihre Billigung nicht versagen werden." Nun spürte er ganz deutlich einen leisen Druck der weichen, kleinen Hand. Und in den Augen der Frau, die ihm so nahe saß, daß ihn der Hauch ihres Mundes berührte, leuchtete es plötzlich auf wie von freudiger Zustimmung. - „Ich entnehme es aus Ihren Blicken," sagte er innigen Tones, „daß Sie einwilligen! Sie geben mir Ihr Kind zur Gattin?!" Kein Schrei entrang sich ihren Lippen, nur ein leises Aechzen, ein röchelndes Aufstöhnen. Todtenblaß war sie, als sie aufstand. Im Gesicht des Professors malte sich erst namenloses Erstaunen über die plötzliche Umwandlung, aber im nächsten Augenblick schoß blitzesgleich das Verstehen durch sein Hirn. ' Kalt und gefaßt erwiderte die Dame: „Ich bedauere vom ganzen Herzen, Herr Professor, daß ich Ihnen eine Antwort geben muß, die Sie enttäuschen wird. Dora bringt Ihnen, wie ich genau weiß, nicht eine Spur jener Gesinnung entgegen, die Sie bei ihr mit Bestimmtheit vorauszusetzen scheinen.. " Bald nachdem sich der Professor entfernt hatte, hüpfte Dora in das Zimmer. Sie schlang die Arme liebkosend um den Hals der Mutter und küßte sie. Diese erwiderte Umarmung und Kuß des Kindes, aber ein eigenthümlicher Blick traf dasselbe dabei, ein seltsamer, flammender und dabei doch so starrer Blick. Blickt nicht der Haß so?

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