Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

Marienfäden. Von K. H. v. W. as Stubenmädchen meldete den Professor Reinberg an. Dorn, ein blondes Gleichen von kaum sechzehn Jahren, legte den Stickrahmen, an dem sie so emsig gearbeitet hatte, beiseite und klaschte in die Hände wie ein fröhliches Kind, dem man soeben ein langersehntes Spielzeug bringt. „Der Professor, ah, nun wird's doch wieder ein wenig lustiger werden!" Dabei schlang sie den Arm um die trotz der langjährigen Witwenschaft noch immer in der Schönheit der Jugend prangende Mutter. „Dora, wie knabenhaft Du Dich ge- berdest," sagte diese sanft verweisend, „wie oft soll ich Dich noch ermähnen?" Aber der kleine Kobold schloß ihr den Mund mit einem Kuß. „Pst, wenn er das hören würde, Du strenge, stets schmollende Mama! Er müßte so glauben, daß ich noch nicht einmal gehen und stehen kann, wie sich's gebührt; eine junge Dame in meinen Jahren! Wahrhaftig, ich freue mich stets nur Deinetwillen, wenn dieser häßliche Mensch kommt, denn Du bist seit einiger Zeit so still, so traurig, und er versteht es wie kein Anderer, Dich durch seine Plaudereien aufzuheitern." Die Mutter machte sich sanft von dem übermüthigen Kinde los und erhob sich, um an den Spiegel zu treten, wo sie mit einigen Griffen ihrer schönen, vollen Hände ihr dunkelblondes, wie Bronze schimmerndes Haar ordnete. Vielleicht hatte sie sich auch deshalb abgewendet, um das leise Roth zu verbergen, das bei den letzten Worten Dora's ihre Wangen nberflogen hatte. Das Mädchen aber fuhr in seiner vertraulichen und altklugen Weise fort: „Gewiß, Mama, nur Deinetwegen seh' ich ihn gern, denn ich muß es Dir nun einmal sagen, daß ich den Professor gar nicht ausstehen mag. Wenn er auch, wie jeder Professor, eine goldene Brille trägt, so gibt ihm das doch noch immer nicht das Recht, mich wie ein Schul- mädchen zu behandeln. Aber ich werde schon noch Gelegenheit finden, ihm zu beweisen, daß ich wirklich eine erwachsene ..." In demselben Augenblicke trat der Professor ein, der von der Mutter mit der freundlichen Würde der Hausfrau, von der Tochter hingegen mit dem drolligen Trotz des Backfisches empfangen wurde, der mit aller jener Ehrfurcht behandelt zu werden wünscht, die man Matronen entgegenzubringen hat. Reinberg hatte nicht das Geringste von jener schwerfälligen Unbeholfenheit des Pedanten an sich, als welcher der deutsche Professor im Lustspiel regelmäßig erscheint; er besaß das Aussehen und die Art des Mannes von Welt, der sich im Salon anmuthigen Frauen gegenüber ebenso sicher fühlt, wie auf der Lehrkanzel voc den wißbegierigen Jüngern der Wissenschaft. Dora's Vater, der sein Amtsvorgänger gewesen, hatte eine bedeutende und sehr werthvolle Bibliothek hinterlassen, die er anzukaufen wünschte und zu diesem Behuf genau kennen lernen mußte. In wenigen Tagen mußte die Durchsicht beendet sein. Er bemerkte dies, bevor er sich in das Bibliothekzimmer begab und knüpfte daran eine selbstverständliche, verbindliche Redensart, die sein Bedauern darüber ausdrückte, daß nun auch der ihm so lieb gewordene, freundliche Verkehr in diesem Hause nur noch kurze Zeit in der bisherigen Form fortbestehen könne. Er sagte dies verbindlich lächelnd, ohne Nachdruck, etwa in jenem Tone, in dem er einer Nachbarin an der Speisetafel Süßigkeiten angeboten hätte.

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