Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

58 brach zusammen, der starke, eisenfcste Mann kränkelte, obgleich er es selbst nicht glaubte. Und so fanden wir ihn einmal todt im Sessel vor seinem Arbeitstisch, ohne daß eine liebende Hand ihm die Augen zugedrückt. Ein sonderbares Testament hat er hinterlassen," fuhr der Alte fort. „Man sah so recht daraus, daß er die Sache mit dem Sohne nie verwunden und bis zum letzten Augenblick auf dessen Rückkehr gehofft. Der gesammte Nachlaß, Haus, Hof u. s. w. wird für den Verschollenen verwaltet, bis die Urkunde seines Todes hier bei Gericht eintrifft. Und der Herr Rath hatte eine große Praxis und brauchte so wenig für sich; es ist viel geblieben, ich glaube ganze achttausend Thaler." „Ganze achttausend Thaler!" Der Fremde lachte kurz und bitter auf. Das war also der Mühe Preis, der Ertrag eines langen arbeitsreichen, mühevollen, ehrenhaften Lebens gewesen. Da hatte Cailleron, der alte, schlaue Fuchs, das Geschäft besser verstauben. Wie ihm die ererbte Million auf der Seele branute; es ließ sich so schwer vergessen, daß er einst seines Vaters Sohn gewesen. „Der Robert kommt doch nicht mehr wieder," meinte der alte Krause hüstelnd und schnupfend, „der ist dort drüben wohl längst verdorben, gestorben, und wenn er auch noch lebte, wo sollte der wohl das viele Geld zur Ueberfahrt herbekommen. Nicht wahr, Herr, das ist auch Ihre Meinung?" „Sicherlich, das theure Billet und solch ein armer Schlucker." Dabei dachte er heimlich an den eleganten Dampfer, der ihn und Cecile damals nach Europa gebracht. Sie mußte ihn wohl auch sehr lieb gehabt haben, wenn auch auf ihre Weise, die ihm nicht gefiel. Wie hätte sie ihn denn sonst gewählt, gerade ihn, der nichts besaß, nichts war, als ein hübscher, schlanker, verwegener Bursche. In seinem rothen Arbeitshemd, mit dem zerfetzten Sombrero mußte er sich für sie malen lassen. Viele Jahre später, in ihrem Nachlaß, fand er dann das verblichene Bildchen. Ja, er hatte die Herzen, die ihm entgegen schlugen, gering geschätzt, die Liebe, die man ihm bot, mißachtet, deshalb stand er nun inmitten seines Reichthums verlasstu da, einsam bis zur Verzweiflung. „Unten im Städtlein läuten sie jetzt Mittag," meinte der alte Mann, sich mühsam erhebend. „Ich muß jetzt gehen, sonst warten Tochter und Enkelkinder auf mich mit dem Essen. Und heute, zum Sonntag, gibt es etwas Extragutes, sonst ist ja Schmalhans oft bei uns Küchenmeister. Mein Gott, so viele hungrige Mäuler, aber satt sind wir ja Alle noch immer geworden. Na, guten Morgen auch, Herr, wenn Sie einen schönen Ueberblick auf das Oesterreichische hin haben wollen, müssen Sie noch ein Stückel hinauf steigen, bis zu jener Wnldccke; es lohnt sich." Der Fremde nickte; finster brütend starrte er vor sich hin. Wie er ihn beneidete, jenen alten Mann, der an seinem ärmlichen Tische eine frohe Enkelschaar vorfand, während sich mit ihm nur die Erinnerung und quälende Reue zur Tafel setzten. Langsam erhob er sich. Hier war seine Mission erfüllt. Nun konnte er gehen, zurückkehren nach dem eleganten schablonenhaften Hotelzimmer und von dort nach seinem türkischen Landsitz, wo ihn Niemand vermißte, Niemand erwartete. Noch einen Abschiedsblick über die Stätte seiner Kindheit, noch ein Grüßen hin nach jenen alten Bäumen, die sein Elternhaus umrauscht. Das Städtlein vermeidend, wollte er auf Umwegen, über jenen wohlbekannten Bergrücken, die Station erreichen. Wie verändert doch Alles war, Dämme aufgeschüttet, Tunnel ausgebrochen. Wie fremd der schrille Pfiff der Locomotive an den ernsten Felsenwänden wieder- hallte! DicsenHohlweg, eng wie die berühmte Küßnachter Gasse, kannte er noch, aber der blitzende Schienenstraug war auch

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