Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

56 besser, das Herz ist ihr gebrochen! Fehlt Ihnen etwas, Herr, ist Ihnen nicht ganz gut?" „Warum? Was sollte mir sein?" „Mir war es gerade so, als hätten Sie gestöhnt. Nicht? Nun, dann ist es vielleicht die Sand-Liese gewesen, die sich mit ihrem schweren Sack an der Mauer dort außen etwas ausruht. Doch, was erzählte ich da eigentlich?" „Von dem Kummer, den die Todten dort unten, im Leben getragen." Der Alte seufzte. „Das ist eine traurige, sehr traurige Geschichte. Weiß gar nicht, wie ich auf einmal heute darauf komme? Ueber Alles ist ja längst Gras gewachsen. Also, die Herrschaft hatte ein einziges Kind, den Robert, einen Prachtbuben, des Vaters Stolz, der Mutter Herzblatt. Wieder ein Seufzer! Der Liese muß doch die Last zu schwer werden. Ja, wenn man nur ein einzig Kind besitzt, Herr, so setzt man Alles auf eine Karte, und diese verlor. Später, in der großen Stadt, auf der Lateinschule, wollte der Bub nicht gut thun. Die Lehrer klagten über schlechte Arbeiten, Kneipereien, Schulden, allerlei unsaubere Liebschaften; es war kein Ende. Der Herr ging mit einem Gesicht umher, wie eine Gewitterwolke, und die Frau hatte schon am frühen Morgen rothgeweinte Augen. Da endlich kam der Krach. Der Robert wurde von der Anstalt verwiesen, abgejagt, wie wir geringen Leute in Schlesien zu sagen pflegen. Ich glaubte, der stolze Vater würde die Schande kaum überleben; weiß wie die Kalkwand war er, als er die Nachricht erhielt, und am Abend ließ er im ,Löwen' die Whistpartie absagen; er schämte sich wohl, über die Straße zu gehen; nach dem Sohne fragte ihn schon lange Niemand mehr. Hätte dieser Reue gezeigt; es wäre wohl Alles anders gekommen, doch als er, heimkehrend, die Hände in den Taschen, trotzig einen Gassenhauer pfeifend, vor die Eltern trat, da überkam den stolzen, heftigen Mann der Zorn, er riß die Reitpeitsche von der Wand und that, was er sein ganzes Leben hindurch so bitter bedauerte. Die Frau warf sich freilich dazwischen, sie bat und weinte so laut, daß wir drüben in der Kanzlei es hörten, doch was half's. Der Herr war in dem Höchsten, was er besaß, in seiner fleckenlosen Ehre, zu tief verletzt. Spät, am Abend schlich ich heimlich hinauf an seine Thür, vergebens bat ich um Einlaß; morgens war das Giebel- stübchen leer; der Sohn des Hauses verschwunden auf Nimmerwiedersehen! Was soll ich von der schrecklichen Zeit sagen, die nun folgte. In einer Woche hatte der Herr schneeweiße Haare bekommen, und die arme Mutter! Ein Jammerbild, bei dessen Anblick sich Einem das Herz im Leibe umwandte. Noch nie ist auf Erden ein Mensch so gesucht worden, wie unser Robert. Ein Vermögen ging bei den Zeitungsaufrufen dahin, und der Herr ist selbst in allen großen Hafenstädten, bis nach England hinauf gewesen, doch vergebens. In Amerika drüben, habe ich mir sagen lassen, unter dem vielen fremden, zusammengelaufenen Volk sieht man sich nach dem einzelnen Strolch nicht so genau um, wie bei uns zu Lande." „Und dann?" Der Alte wiegte traurig den kahlen Kopf. „Ja dann kam es so, wie wir Alle es gefürchtet. So lange noch die bloße Hoffnung auf ein Wiedersehen sie aufrecht erhielt, ging es, als aber Jahr auf Jahr verrann und der letzte Schimmer erlosch, da brach sie zusammen. Sie wollte nicht weiter leben, nicht gesunden. Wenn man ihr von Aerzten, Badereisen sprach, schüttelte sie nur den Kopf mit solch einem eigenen Blick, den vergeh ich mein Lebtag nicht, Herr. Und dann ist sie eingeschlafen, und wir haben sie hierher gebracht." „Der Ehegatte hat sie nicht lange überlebt, nicht wahr?" Der Fremde fragte es mit heiserer Stimme. „O doch, drei ganze Jahre, und die sind dem einsamen, alten, vergrämten

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