Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

52 fremd, fast ungehört an seinem Ohr verklungen, aber dort in der blauen Ferne jene mächtige, vom Morgennebel leicht umwogte Gebirgskette kannte er. ganz genau. Gerade so, mit den trotzig in die Wolken ragenden Felszacken und den dunkel bewaldeten Klüften, hatte sie ihm oft vor der Seele gestanden. Sein Herz pochte, das dumme Herz, über welches der Kopf so wenig Macht besaß. Die Sonne stieg höher, der Zug eilte weiter, die Berge kamen näher. Nun kannte er sie alle, die Namen, die der Schaffner rief. Das war sie, die große Stadt, aus der einstmals sein Weihnachtsspielzeug gekommen, und die dann später der Schauplatz seiner wilden, schlechten Schülerstreiche geworden. Er wandte dem Fenster den Rücken; er mochte sie nicht in der Morgensonne funkeln sehen, jene Thürme. , Die Maschine keuchte, der Zug ging langsamer; man war mitten in den Bergen. . Der DiamantenhändlerNobertHcider, der noch vor einer Woche zwischen Myr- then und Rosenlorbeer am Bosporus einsam gewandelt, breitete jetzt seine Arme aus nach den finsteren Riesentannen, die dort am Abgrund wuchsen. Das war sein schönes Heimatland, dem er ein treuer Bürger hätte werden sollen, das Land, das die Schulgeführten begeisternngsvoll mit ihrem Blut geschützt, dem sie dienten mit Einsatz aller ihrer Kräfte. Und was hatte er geleistet? Er hatte sich von einer Grisette heiraten lassen, ihren schuftigen Vater beerbt. Heiser lachte er auf, dann starrte er in die Landschaft, an welcher der Zug vorüberflog. Hier war er au des Vaters Hand, ein fröhliches Kind, gewandert, dort mit lustigen Kameraden zum Bota- nisiren hinausgezogen. Und hier, hier durch diesen Wald war er, Wuth und brennende Schmu im Herzen, geflohen, als der empörte Vater ihn, den großen | Menschen, mit der Reitpeitsche gezüchtigt der Wind frischen Heudnft von den Feldern in das enge Coupö, und man könnte beobachten, wie die Sternennacht langsam dem Morgengrauen wich. Sehr lange hatte er keinen Sonnenaufgang mehr gesehen. Das letzte Mal wohl, als er Goldgräber am Sacramento gewesen. Aber was hatte die Sonne beleuchtet? Einen Haufen wüster, würfelnder Gesellen, und mitten darunter seines Vaters Sohn, seines stolzen ehrenfesten Vaters Sohn! Er biß die Zähne zusammen, um uicht aufzustöhnen. Weg mit deu Gedanken, für ihn gab es kein Erinnern, kein Heimweh mehr! Und im Grunde, was ging es ihn an, ob die Morgensonne über Kalifornien oder Schlesiens Bergen stand! Er klingelte, befahl Licht, die neuesten Tagesblätter. Doch bald war die Zeitung bei Seite geschoben, und er blätterte in dem kleinen Coursbuch. Immer wieder kehrte sein Blick zurück uach dem kleinen Ort, der inzwischen Bahnstation geworden war. Damals, als er auf- und davongegangen, wand sich zur Winterszeit die Post noch mühsam durch verschneite Hohlwege. Es war ihm, als höre er plötzlich ihr schwerfälliges Stoßen und Rumpeln auf dem Pflaster vor den Fenstern. Er sprang anf, weit flog der Stuhl ins Zimmer und die Zeitung flatterte von: Tisch. „Ali, soll kommen!" „Der türkische Diener sei ja mit Erlaubniß des gnädigen Herrn in den Circus gegangen," erinnerte der erstaunte Kellner. „Richtig," er besann sich. „Dann mag Ali mit dem Gepäck meine Rückkehr hier erwarten. Flink eine Droschke uach den: schlesischen Bahnhof, in einer Stunde geht der Schnellzug!" Als Eos, die rosenfingerige, strahlend, eine siegreiche Göttin, am dunklen Nachthimmel erschien, richtete der türkische Großhändler, den deutsches Heimweh, alberne Sentimentalität im Grunde gar nichts anging, sich aus seiner finsteren Ecke auf. Bisher waren die Stationen

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