Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

48 ich, das ist am Ende ein Zeichen, daß Dir Gott verzeihen will, daß er Dir eine Buße gönnt, die doch wieder nach Deinem Herzen ist. Denn Alles, auch das Schwere, kann halt nicht schwerer sein, als wir's ertragen. Und sagte ja. Ging auch mit ganzer Seele dran, und ist mir seitdem erst aufgegangen, was die Wissenschaft ist und was ihr dienen heißt. Aber — leicht, o, leicht war's nicht! Die Menschenscheu, das ist nun ganz gut, aber wenn hier oben Tag für Tag verrinnt, Monat für Monat — denn außer Juli, August, ein bissel September kommt kein lebendiges Wesen herauf, Herr — und immer allein, Jahraus, Jahr ein allein in eisiger Bergeinsamkeit, da steigt's wohl manchmal herauf wie Nebel aus den Thälern, unaufhaltsam, übermächtig, die Sehnsucht nach Menschlichem. Und hab' manchmal geschrien um einen guten Freund oder um Weib und Kind und hab' auf meinem Bette gerungen lange Nächte, oder gestanden und die Arme gebreitet in das unendliche Schweigen, nach dem starrenden Geklüft hoch über der Adler Genist und den stürzenden Gewässern und dem Gletschergcfilde, wo unabsehbar wie zahllose zusammengefrorene Sterne der Glanz der Sonne lag, und hab' hinausgehorcht in die grausige Einsamkeit nach eines Gottes Stimme, ob es ein Verzeihen gäbe für meine Schuld. Und sitz' hier oben sieben Jahre und seh' die Sonne erwachen, wenn es drunten noch Nacht ist, und seh' sie unter den Himmel rollen, wenn es längst im Thale finster geworden, sehe den Bogen des Friedens, den Ihr unten weit gespannt seht, als einen Cirkcl in den Nebeln hängen und habe Keines Genossenschaft als meines eigenen Leibes Schatten, wenn er, losgelöst von meinen Füßen, riesengroß über die Wolken schreitet. ,Anf der Alm ist kein' Sund' sagen sie und klettern hinauf und meinen, was sie da oben thun, ist allemal gottgefällig, und wissen nicht, daß nur auf der einsamen Alm kein' Sünd' ist — nun, Sie verstehen das, Herr. Doch ein Einsamer hat gut ein Heiliger sein! Wissen möcht' ich nur, ob es rückwirkt auf Vergangenes, ob Schnee und Eis und Schweigen und Qual aus- zulöschen vermögen Vergangenes, Herr?" „Nun denn, aus treuem, ehrlichen Herzen sag' ich's Euch: sie vermögen's! Und sag Euch: was Ihr unterlassen habt zu thun, habt Ihr genug und habt's völlig gesühnt. Euer Leben hier ist grausig. Warum wollt Ihr Euch eine Pein auflegen, die längst über Menschliches hinausgeht? Steigt wieder herab von Eurem Berge und erlöst Euch aus dieser furchtbaren Haft." Ich bat ihn herzlich, mir ging's nah um den Mann. „Niemals," sagte er leise, den Kopf schüttelnd. „ Ich bin ein Anderer geworden hier. Da unten muß einer ein ganzer Kerl sein, abgeschlossen in seinem Wesen und doch überall sich drückend, sich schickend — ich — ich bin kein rechtes Ich mehr, mir fehlt die Begrenzung und fehlt das Schmiegsame. Bin wie ein Haus, darin Tag und Nacht die Fenster offen gestanden haben, bin selber ein Stück Berg und ein Stück Wolke geworden, Manches fehlt mir, was Andere haben und hab' wieder, was Anderen fehlt. Das war ein peinliches. Werden, aber nun ich so geworden, ist's eben das Einzige, das mich befreit, wenn mich was befreien darf. Wie Nebel im Winde flattert und verweht Menschliches aus meiner Seele, und so soll's sein. So will ich harren, bis der letzte Hauch meiner Schuld hingegangen ist mit meinem letzten Menschlichen, dahin, woher die Sterne kommen und die Winde wehen. — Aber ich danke Ihnen, daß ich's einmal hab' sagen dürfen, und ist mir wohler jetzt." Damit stand er auf und verließ mich.

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