Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

38 phantastischen Traumen erfüllt, hab' ich, ein armer, unwissender Hüterjunge, au einer einsamen Felswand gestanden und gewartet, ob in dem Brausen der Wasser und Wallen der Nebel nicht der Herr erscheinen nnd mir seine Zeichen und Wunder deuten werde. Weiß nicht, wie das über mich oder in mich gekommen ist. Einmalhatteder Anton einen häßlichen Streit mit dem Steiger, der ihn beschuldigte, die ohnedies geringe goldene Ausbeute heimlich geschmälert zu haben. Zwar verschwor er sich hoch und theuer, daß es ein unglücklicher Zufall gewesen sei, wenn ihm da etwas in den Stiefel gerollt, was nicht hinein gehöre, und konnte ja wohl auch so gewesen sein; da er aber — damals ein Bursche von etwa zwanzig Jahren — für habgierig bekannt war und überdies eines Tages auf und davon nnd verschwunden war, so wollte Keiner hinterher seiner Versicherung glauben, Pflegen doch Unschuldige eben nicht auszureißen. Doch mag auch das vorkommen, und ich will seinem Andenken nicht zu nahe treten, als ob damals seine Hände nicht noch rein gewesen wären. Wie er selbst später bekannte, war ihm der ganze Handel nicht unerwünscht gekommen, denn die mühselige und schlechtbezahlte Arbeit hatte ihm nie zugesagt, und immer hatte er sich mit dem Gedanken getragen, außer Landes zu gehen. Genug, er war gegangen, und es hieß, der Vater habe ihm dabei Vorschub geleistet. Jedenfalls war dem ein Stein vom Herzen, daß der Junge in Sicherheit nnd einer Strafe entgangen war — päterhin freilich, da Jahr auf Jahr verging, ohne daß der Entwischte von sich hören ließ, sagte er oft, wie es ihm lieber gewesen wäre, der Anton hätte, schuldig oder unschuldig, ein paar Wochen abgesessen und wäre im Lande geblieben. Das war nun wohl natürlich, daß ihm der verlorene Sohn nahe ging. Warum auch hätte er nicht an ihm hängen sollen? Er war sein einziges Kind, klug und von Ansehen ein hübscher Kerl. Ja, das war er! Groß und schlank, dabei kräftig gebaut, mit einem schönen, bräunlichen Gesicht, schwarzen Haaren und blitzenden, dnukeln Augen, hinter rothen Lippen Zähne weiß und glänzend wie ein Raubthiergebiß — ein Kerl, dem die Mädel schon nachsahen, als er noch nicht ausgewachsen war. Er war auch nicht etwa finster von Wesen, konnte sogar etwas recht Schmeichlerisches, Bestechliches annehmen, wenn er wollte, aber manchmal hatte er auch was inr Gesicht, davor Einem graute, etwas Hartes und Wildes. Möcht' sagen, es war etwas Undeutsches in ihm, wie das in Grenz- ländern mitten unter deutschen Leuten vorkommt, ohue daß man sagen könnte: der ist böhmisch oder wälsch odersonst was. Kein Mensch konnte sroher sein, daß er fort war, als ich, denn gute Freunde gewesen sind wir nie. War, glaub' ich, rn seinen Augen ein rechter Hansnarr und Dummrian. Denn er gehörte zu den Menschen, deren ganzer Verstand auf ihren eigenen Vortheil geht und die auf Alle herabsehen, die etwas treiben, was ihnen nicht einen sichtbarlichen Nutzen verspricht. Freilich trat seiner eigenen Klugheit manchmal seine Leidenschaft und Gewaltthätigkeit zu nahe. Wenn ich das auch damals noch nicht recht begriff, so lernt man Manches wohl noch, hinterher einsehen. Und überdies sollte er ja wiederkommen." „Entzog er sich denn nicht dem Militärdienst, indem er fortging?" fragte ich. „Nein, es fehlte ihm ein Finger au der linken Hand, den er bei einem Unglücksfall eingebüßt, da war er für den Dienst untauglich wegen der Griffe am Gewehr. Nun, die Zeit verging, Jahr auf Jahr, ich wuchs heran, andere Geschwister kamen nicht, der Anton ließ nichts von sich hören. Dem Vater dauerte die Sache zu lang, und als es damit ins siebente Jahr hin ging, ließ er Briefe, aufsetzen, wie ihm Einer gerathen, die gingen nach Amerika und Australien. War aber kein Anton Wiesner zu finden. Auch in

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