Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

35 war der Fall, seit langer Zeit hatte mir nichts einen solchen Eindruck gemacht, als dieser Mensch und seine Lebensart. Er hatte sich weggedreht und Waran seine Apparate gegangen. Da ich fühlte, daß ich ihn verletzt hatte — sei es, daß er mich für einen zudringlichen Schmeichler hielt, sei es aus irgend einem anderen Grunde — und daß ihm meine Gegenwart lästig war, ging ich hinaus und beschäftigte mich draußen damit, das Gestein abzuklopfen und zu untersuchen, sowie das Gebäude ein wenig zu beschnüffeln. Auf einmal stand er hinter mir. „Wer sind Sie eigentlich, wenn ich's wissen darf?" fragte er mich. „Ich heiße Valentin und bin Schriftsteller." „Hm. Was schreiben Sie?" „Geschichten." „So wie sie in den rothen Kalendern stehen?" „Ungefähr so." Er blinzelte mich scharf an und lächelte. Ich glaube, ich machte ihm mit meinem Bekenntniß den Eindruck des Ungefährlichen, Harmlosen. Daß Schriftsteller Leute sind, deren Thun in den lebendigen Menschen selbst wurzelt, denen Andere ein besonderes psychologisches Interesse einflößen, mochte er nicht vermuthen, sie galten ihm wohl nur für curiose Träumer, die sich zur Unterhaltung Anderer phantastische Mordgeschichten ausdenken, oder dergleichen. Inzwischen war die Dämmerung aus den Thälern heraufgestiegen; leise erblaßte und verschleierte sich die riesenhafte Steinwelt um uns, und es wurde kälter. Ich fragte ihn, ob er Zeit und Lust habe, eine Flasche Wein mit mir auszustechen, und freundlich, ohne lange Umschweife und Phrasen willigte er ein. Bald saßen wir zwischen den vier Pfählen des Blockhauses am einfachen Tische nebeneinander wie alte Bekannte, redeten über die Weltläufte und wurden bald vertraulich miteinander. Als er plötzlich die Unterhaltung durchbrach mit den Worten: „Das hat mir vorhin einen ordentlichen Riß gegeben, wie Sie das sagten: da säß' ich hier wie ein König oder ein Weiser, und wie Sie mich beneideten, oder wie das war, und wie es sonst nur ein Stumpssinniger oder Schuldbefleckter aushalten könne. Und das ist es nun — weil Sie der Erste sind, der das heransgefühlt hat, und auch — weil — weil's mich gerade einmal so gepackt hat, daß ich's sagen möchte, so will ich's Ihnen hier sagen: Ich bin ein Schuldiger, und daß ich's hier aushalte, ist, daß ich es verbüße — das Menschenleben, das ich auf mir habe." Es mochte sich wohl etwas wie schreckhaftes Erstaunen in meinem Gesichte malen — denn freilich hatte ich ein solches Geständniß nicht erwartet •— als er mit einem halben Lächeln hinzu- setzte: „Dürfen sich aber deshalb nicht fürchten, Herr, bin sonst kein gefährlicher Mensch, und vor meinen Händen dürfen Sie sich auch nicht grauen, die sind rein. Der Fleck — der ist, bloß auf meiner Seele und — ein wenig — haben ihn wvhl auch die Jahre schon ausgebleicht, denk' ich." „Die Jahre hier oben zumal! Denn die zählen wie Kriegsjahre. Wie viel sind's ihrer?" „Fast sieben." „Fast sieben Jahre!" „Haben sie Ihnen unten nichts von mir erzählt, Herr?" „O doch. Daß Sie jahraus, jahrein allein hier oben hausen, und wie Sie schon als Kind ein halber Wetterprophet gewesen, den Wolken nachgesehen und über alle diese Dinge gegrübelt und sich Gedanken gemacht hätten." „Sonst nichts?" „Nichts." „Freilich, den Menschen hab' ich nie so recht schuldig gegolten, denn das Gericht hat mich freigesprochen, der Pfarrer hat mich absvlvirt, da hat sich denn Keiner recht getraut und mich einen Schandbuben genannt als i ch mich allein. Und hab' mich endlich selber so 3*

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