Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1899

84 des Luftdrucks, des Feuchtigkeitsgehaltes der Atmosphäre empfindet, sondern obendrein eigenhändig — sozusagen — re- gistrirt. Außer diesem befanden sich noch verschiedene andere Apparate, deren Bedeutung mir nicht sogleich klar war, an diesem so weit hinauf versprengten Posten der Wissenschaft. Ruhig, mit großer Sicherheit waltete der „Wetterhansel" als Wärter der Station seines Amtes, las da und dort die verschiedenen Messungen ab, nahm telephonisch Meldungen der Hauptstation entgegen und gab auf eben diese Weise solche weiter. Seiner ganzen Erscheinung nach war Wiesner ein Mensch von schlichtem Wesen und vermuthlich nur ganz einseitig meteorologisch ausgebildet; dennoch, wie ich ihn da betrachte, war etwas an ihm, das meine Theilnahme lebendiger erweckte, als es vielleicht jeder Andere an seiner Stelle gethan hätte, ohne daß ich gleich hätte sagen können, was es war. Er war ein Mann von mittlerer Größe und etwa in der Mitte der Dreißiger stehend, nicht schön, nicht häßlich, von guter Statur und Haltung, einem intelligenten Zug in dem nicht übelgeschnittenen, von einem hübschen Schnurbart gezierten Gesicht, in dem ein Ausdruck von Selbstbeherrschung lag, der vielleicht schon ein wenig starr zu nennen war. Er kümmerte sich nicht im mindesten um mich, meinen Gruß hatte er freundlich erwidert, übrigens aber ging er hin und her, ohne nach mir zu sehen. Ich fand sein ablehnendes Wesen natürlich, aber nichtsdestoweniger reizte es mich und im- ponirte mir die unerschütterliche Ruhe, mit der er meine Fragen hinnahm und beantwortete. Nachdem er die Freundlichkeit gehabt hatte, einiges mir Unverständliche an dem großen Selbst- registrirungsapparate zu erklären, und mich einen Blick durch seine Fernrohre hatte thun lassen, der mir die ver- schwimmenden Höhen ferner Bergzüge näher gebracht und das leicht geballte Cirrusgewölk in einen flockigen Nebel aufgelöst hatte, sagte ich zu ihm: „Wie wunderbar ist all Ihr Leben und Treiben, Sie müssen ein ganz Andrer sein als wir übrigen Menschen. Nicht nur, daß Sie die wissenschaftliche Seele dieses Raumes find, sind Sie zugleich wie ein König über unendliche Weiten und wie ein Weiser, der an sich selbst genug be- ' sitzt und keinen Andern zu seinem Glücke braucht. Sie sind zu beneiden." Er sah mich an, seinen Blick einige Secunden in meinen versenkend. Es lag eine Geschichte in diesem Blicke, obschou er eigentlich nur eine Frage zu stellen wollen schien. „Sie sind der Erste, der mich nicht bedauert," sagte Wiesner. „Warum aber finden Sie mich be- neidenswerth, wo mich jeder Andere beklagte auf meinem weltverlorenen ' Posten?" „Weil es eine geistige Größe ohne gleichen offenbart, so leben zu können." Ich hätte mich nicht anders auszu- drücken vermocht, ich hätte gemeint, ihn zu beleidigen, wenn ich nach einem volks- thümlicheren Ausdrucke gesucht hätte; denn dieser Mann sah mich an mit den Augen eines Denkers. „Nun, es könnte ja auch Stumpfsinn sein," sagte er mit leichter Ironie. „O ja, freilich, das könnte es. Allenfalls noch etwas. Aber das würde hier ebensowenig passen." „Was?" „Eine schuldbefleckte Vergangenheit. In allen Zeiten flohen Einzelne die menschliche Gesellschaft, um in der Einsamkeit der Buße zu leben. Aber wer Sie sieht, wer Ihre Beschäftigung kennt und von Ihrer Begabung, Ihrer leidenschaftlichen Naturliebe, gehört hat, weiß, daß er Sie als einen der seltensten s Menschen zu schätzen hat." „Nichts wissen Sie," sagte er rauh und drohend, und düster starrten seine Augen mich aus einem bleichen Gesichte an, daß ich fast erschrack. „Verzeihen Sie," sagte ich rasch, „ich meinte es ehrlich so." Und das

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