Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

27 „Das ist in wenigen Worten geschehen. Durallois kam vor etwa vier Monaten mit seiner Gattin hieher und wohnt seitdem in meiner Nähe. Die Familie scheint in guten Verhältnissen zu leben. Er ist von ziemlich schwächlichem Körperbau. Jedenfalls ist er ein hochgebildeter Mann, der sich hauptsächlich mit fremder Literatur beschäftigt. Beide sind eifrige Kirchen- besucher und haben mich gleich nach ihrer Ankunft ausgesucht, um mir ihren Beistand bei Wohlthätigkeitswerken an- zubieten. Ich nahm ihre Hilfe mit Freu den an und seitdem, das muß ich sagen, zählt das Ehepaar Durallois zu meinen eifrigsten und opferbereitesten Mitarbeitern." „Sie haben die Familie auch besucht?" fragte ich. „Mehrmals! Der erste Anlaß dazu war solgender Vorfall. Der Agent einer Lebensversicherung hatte den eben zugezogenen Durallois aufgesucht, um ihn zu überreden, sein Leben zn versichern. Der Gatte selbst war ursprünglich dagegen, aber die Frau hatte sich für die Sache erwärmt und bat mich, meinen Einfluß auf ihren Mann geltend zu machen, damit er sich dazu entschließe. Nach einigem Zögern befolgte er, anscheinend freilich mit Widerwillen, meinen Rath, und die Versicherung kam zu Stande." „Die beiden Eheleute sind einander sehr zugethan?" fragte ich weiter. „Ja, eine glückliche Ehe, wie man sie selten findet." „Die Frau ist stets besorgt um ihren Gatten?" „Außerordentlich! Anscheinend ohne Grund ■— Durallois scheint zwar nicht allzukräftiger Natur zu sein, aber er ist eigentlich fast nie krank." „Fast nie, sagen Sie, Herr Amtsbruder? Ist er jetzt etwa erkrankt?" erkundigte ich mich, aufs höchste gespannt. „Allerdings, zum ersten Male, aber die Erkrankung ist, wie der Arzt versichert, ganz unbedenklich." „Und Sie, verehrter Amtsbruder, haben den Arzt empfohlen, nachdem Sie auf dringenden Wunsch der Frau das anfängliche Widerstreben des Mannes gegen ärztliche Behandlung mit Erfolg bekämpft haben?" „Ja, aber woher wissen Sie das Alles?" fragte Pfarrer Wangenheim erstaunt.- „Hat Durallois oder seine Gattin etwa auch mit Ihnen gesprochen?" „Gestatten Sie mir, die Frage vorläufig unbeantwortet zu lassen. Es handelt sich eben um ein aufzuklärendes Geheimniß. Nur eine Bitte. Sollte Herr Durallois plötzlich sterben —" „Aber, ich begreife nicht. Nach dem Urtheil des Arztes —" „Ich weiß, ich weiß, lieber Herr Amtsbrnder! Aber tritt das unmöglich scheinende Ereigniß dennoch ein, dann bitte ich um sofortige Mittheilung. Das Räthsel wird dann in überraschender Weise gelöst werden." Gegen Abend des nächsten Tages sandte mir Pfarrer Wangenheim durch einen Boten einen Zettel, der folgende Worte enthielt: „Durallois ist soeben plötzlich verschieden. Ich bitte um Ihren sofortigen Besuch. Wangenheim, Pfarrer zu St. Andreas." Ein Polizeicommissär meiner Bekanntschaft, dem ich Alles erzählt, hatte mich gebeten, ihm Nachricht zn geben, wenn Durallois sterben sollte. In seiner Begleitung eilte ich zum Pfarrer Wangenheim. Ohne Aufenthalt und ohne weitere Erörterungen begaben wir Drei uns in das Sterbehaus, wo wir den gleichfalls soeben eingetroffenen Arzt, Herrn Dr. Bremer, vorfanden. Die Witwe hatte sich zurückgezogen und ließ sagen, sie werde sogleich erscheinen. Vor uns lag der Todte. Kein Zweifel, es war Lavalle! „Wie erklärt es sich, daß Ihr Patient so plötzlich gestorben ist?" fragte ich den Arzt.

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