Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

24 von dem Arzte nicht als eingebildeter Kranker belächelt werden, wenn ich wegen einer geringfügigen Unpäßlichkeit gleich zu ihm komme. Welchen Arzt würden Sie mir empfehlen?" „Dr. Hoher! Er ist nicht nur geschickt, sondern weiß auch volles Vertrauen in seiner Knust und herzliche Zuneigung für seine Person bei den Kranken zu wecken. Sie werden in ihm bald einen Freund erblicken, dem Sie sich rückhaltlos anvertrauen können und dessen Rath Ihnen stets von Werth sein wird, nicht bloß bei körperlichen Leiden. Oft beneid' ich ihn um die Erfolge, die er dort erzielt, wo ich eigentlich wirken und walten müßte. Der Beruf des Arztes ergänzt den des Geistlichen. Bei allen Völkern waren in den älteren Culturperioden die Priester zugleich Aerzte des Volkes und so ist es noch heute in Afrika — doch, ich ermüde Sie!" „Keineswegs, Herr Pfarrer, ich bin ein eifriger Verehrer wissenschaftlicher Erörterungen. Die Cultnrgeschichte ist mein Lieblingsstudium, daneben treibe ich aber auch Psychologie, Physiologie, Anthropologie. . ." „Wie mir aber scheint, bedürfen Sie dringend der Ruhe, Herr Lavalle. Sie sehen sehr abgespannt aus. Wann werden Sie Herrn Dr. Hoher besuchen?" „Morgen schon, Herr Pfarrer." — Als ich Frau Lavalle den Erfolg meiner Unterredung mit ihrem Gatten mittheilte, heiterten sich ihre Züge sichtlich auf. „Empfangen Sie meinen wärmsten Dank, Herr Pfarrer," sagte sie zu mir, indem sie meine Hand ergriff. „Sie haben zu meiner Beruhigung viel beigetragen." Am nächsten Tage begegnete ich zufällig dem Arzte. „Sie sandten mir heute einen Patienten?" fragte er mich. „Jawohl, Herrn Lavalle. Was fehlt ihm eigentlich?" „Das Herz ist nicht ganz in Ordnung — er ist ein wenig angegriffen — nichts Gefährliches. Vermeidung von Anstrengungen, gute Luft und gute Nahrung werden ihn bald wieder zurecht setzen." Bald darauf sprach ich auch Herrn Lavalle. Es schien ihn zu verdrießen, daß der Arzt ihm die Fortsetzung seiner Studien für einige Zeit untersagt hatte. „Es kommt mir hart an, daß ich mich von diesen Freunden, wenn auch nur vorübergehend, trennen soll," bemerkte er schmerzlich lächelnd, indem er auf seine Bücher wies. Dagegen war seine Frau über dieses Verbot sehr erfreut und äußerte, sie sei schon oft versucht gewesen, aus deu Büchern ihres Gatten ein lustiges Feuer anzuzünden, wenn sie sehe, wie er stundenlang über den Büchern sitze und seine Gesundheit untergrabe. Er lachte hiezu und neckte seine Frau, indem er behauptete, sie sei eifersüchtig, weil sie wisse, daß bei den Gelehrten die Liebe zu den Büchern die Liebe zu den Frauen überdauere. Acht Tage später wurde ich in frühester Morgenstunde geweckt. Herr Dr. Hoher ist im Studierzimmer und wünscht den Herrn Pfarrer dringend zu sprechen," so meldete man mir. Ich warf mich rasch in die Kleider und ging dem Arzt entgegen. Dr. Hoher war sehr ernst, und ich vermuthete sofort, daß etwas Außerordentliches vorgefallen sein müsse, das ihn peinlich berührt habe. „Was ist geschehen?" fragte ich. „Mein lieber Pfarrer, ich komme, um Sie zu bitten, Frau Lavalle zu trösten. Sie ist soeben Witwe geworden." „Unglaublich!" rief ich aus. Dr. Hoher nickte mehrmals mit dem Kopfe, um die Wahrheit des Gesagten zu bekräftigen. „Vor einer Stunde wurde ich zu Herrn Lavalle gerufen. Ich war soeben erst von einem Krankenbesuche zurückgekehrt, ging aber sofort mit dem Boten, der mich zu holeu gekommen war. So sehr ich geeilt, es war bereits zu spät,

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