Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

18 den Arzt geritten. Auf dem Wege kam er an Häusern nnd Leuten vorbei und verbreitete die Kunde. Von da gings dorthin und von dort dahin, binnen einer Stunde war Alles in einem mächtigen Umkreise von den schauerlichen Vorfällen anf dem Zicrthalerhofe unterrichtet. Und nicht nur das; die Sagen wuchsen von Minute zu Minute, und "kein Mensch wußte zuletzt mehr, ob der Zierthalerhof noch stehe, wie Viele ermordet wurden, und was derlei Furchtbares uoch mehr ist. Mau ritt, mau fuhr, man pilgerte nach dem Zierthale. DieSchaaren wuchsen an und mit ihnen die Hitze, die Flüche gegen die Stadilente, Professoren uud die Bildung! Man wollte den Mörder heraus und gerichtet haben! Man wollte weit Schlimmeres, dem Herrn drüben, der dies Unheil ins Thal gebracht, vvrs Hans rücken und was solch tolles Zeug mehr ist, das Leuten in der Hitze durch den Kopf fährt. Aber anch Männer der Behörden waren bereits im Zierthale, und ihre Gegenwart ordnete, brächte einige Ruhe iu die aufgeregten Massen. Der Zierthaler lehnte halb in einem Bette, halb mit den Füßen auf einem Stuhle; der Arzt hatte einen kleinen Aderlaß verordnet, und es war gut. Der Zierthaler sah nur blaß und gebrochen aus, und sonst hatte es keine Gefahr. Rosi weinte, und alle Hausmägde weinten im Hinterstübchen mit ihr. Der Professor ging in einem Zimmer anf nnd ab und hatte allerlei Herren, theils vom Amt, theils andere um sich, denn vom Schlosse fehlte man anch nicht. Da tönte durch die Nacht das Klin- gelu einer Glocke. Ein Flämmchen wandelte durch das Thal, der Straße ent- laug, immer näher dem Zierthalerhofe. — Wer da nahte, war der Pfarrer mit der heiligen Trostspcnde und der letzten Oelung. Als er in das Gitter trat nnd der Knabe die Glocke klingend hob, entblößten die Männer die Köpfe und knieten nieder. Der Pfarrer spendete den Segen mit dem heiligen Geräthe und verfügte sich nach der Stube, wo Sepp in furchtbarem Zustande lag. Man stellte Lichter zu Sepp, uud eine geweihte Kerze ward ober seinem Haupte angezündet. Als der Geistliche zu ihm trat, erhob sich Sepp etwas mit dem Oberkörper. Er war fürchterlich anzusehen! Er war blind, ganz, ganz blind! Die Augenhöhle des einen Auges, auf dein er uoch gesehen hatte, war theils schwarz, theils blutrünstig, das Gesicht schrecklich verzerrt, der Leib war voller Brandwunden und mit nassen Tüchern bedeckt. Nur minutenlang konnte er sich ruhig verhalten, dann faßte ihn wieder das Zucken iu den Brandwunden, und seine ganze Gestalt verzerrte sich schrecklich. Sepp fragte, ob der Zierthaler da sei? Man erwiderte nein, und fragte, ob er ihn denn wolle? Er schüttelte bejahend das Haupt, uud man ging um deu Gerufenen. Dieser, obwohl es ihm Anstrengung kostete, wollte dennoch seinem treuen Diener die letzte Ehre erweisen und ließ sich, gestützt auf zwei Männer, nach dem Krankenzimmer bringen. Der schwache Zierthaler griff nach Sepp's Hand, und als dieser die des Herrn in der seinen fühlte, legte er das Gesicht darauf und schluchzte krampfhaft. Der Pfarrer sprach sehr würdigen und herzlichen Trost. Sepp richtete sich empor und begann zu sprechen. Er erzählte reumüthig, wie Alles gekommen, und daß der Himmel ihn sichtbar für den Frevel gestraft, den er an stillem, geweihten: Orte begehen wollte. Die Leute standen bebend und staunend dabei und falteten die Hände. Er wolle auch den Professor und Rosi bei sich haben, sagte Sepp, er wisse nichts Schlimmes von ihnen. Das Menschenherz könne lieben, Gott habe die Liebe Jedem ins Herz gelegt. Jetzt, da er nahe daran sei, vor den ewigen Richter zu trete::, fuhr Sepp fort, könne er in seinem Herzen den Beiden anch keine üble

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2