Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

15 Der Tag war heiß gewesen. Der Professor war wieder auf seinen Wanderungen aus, uud Rosi ging beten. Wohl umwölkte sich der Himmel gegen Abend düster; aber nach den Erfahrungen über das Wetter in diesem Thäte sollte es erst spät in der Nacht regnen. Rosi bangte also nicht, zu ihrem Liebliugsplätzchen zu gehen. Auch Sepp fehlte nicht gar ferne davon, und der Herr Professor noch weniger. Rost zündete trotz des heftigen Windes das Lämpchen an, und es glückte ihr nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen, denn das Oel war schon tief und das Glas bildete dadurch für die kleine Flamme umsomehr eine willkommene Schutzmauer. Dann kniete Rosi hin und betete und schluchzte in alter Weise. Der Professor, dem diese Rührung die heiligste Stunde bot, wollte das Kind in seiner Andacht nicht stören, er ließ sich allmälig langsam hinter den Bäumen auf die Knie nieder, faltete inbrünstig die Hände und betete ebenfalls. Es ward ihm wohl in seinem Wehe und so wehmüthig in seiner Glückseligkeit! Für Sepp war dieses Beten Rost's ein noch größeres Aufstacheln der Rache. Diesen Engel mußte er an dem bösen Verführer, dem Professor, rächen, und „Gott wird's mir verzeihen!" dachte er. Der Spaßmacher vom Wirthshause, der die erste Entdeckung der Liebschaft gemacht hatte, war heute auch nicht ferne. Er hatte den Spaß mit Rosi und dem Professor abgewartet. Auch Vincenz sollte curirt werden, und die Gelehrten sollten großartig aus der Gegend hinausgetrieben werden! So schlich der Häusler-Franz (das war sein Name) mit einer Schaar Burschen zu gut berechneter Zeit die Anhöhe zum Crucifixe hinauf, um zu gelegenem Augenblicke in Compagnie vor den Liebenden vorzubrechen, ein rechtes Geheul, Gejohl und Katzeumusiciren anzuschlagen. . Rosi betete; in der schauerlichen Un- heimlichkeit des Wetterdroheus, des Windes und des Stöhnens von der Höhe ober dem Crucifixe betete sie heute nur umso inniger und aus der allertiefsten Tiefe ihrer Seele. Jetzt erhob sie sich in jener Erschöpfung nach dem Ausströmen der Gefühle, welche eine heilige Weihe, eine schmerzvolle Wonnigkeit verleiht, küßte das Marien- bildniß, schlug das Betbüchlein zu und gmg. An der Ecke, wo der Weg einbog, bei der Grotte, mußte Dittmar wie gewöhnlich vortreten. Sepp sprang aus dem Dunkel der Bäume hervor wie ein Tiger, er mußte den geraden Weg benützen; das Lämpchen leuchtete auch ganz recht, er sprang vor das Crucifix und legte — ein Gewehr an! Die kleine unheimliche Gestalt, von dem rothen Schein der Lampe gestreift, mit mordzielendem Gewehr war fürchterlich ! Der Professor brach durch das Gebüsch. Sepp's Finger lag am Hahn, und er zielte — ein Windstoß — das Flämm- chen vom Muttergottesbilde ward herausgeschleudert, stürzte auf das Gewehr, das Pulver auf der Pfanne entzündete sich, und der Schuß rollte donnernd los! — — Ein Schrei Rost's, ein „Heiliger Gott!" vom Professor, „Jesus und Maria!" von Sepp!-------- Dabei kamen die Burschen gerade zum rechten Ort vor, und ein allgemeines Rufen des Schreckens statt des allgemeinenJohleus desScherzes war die Folge. Ein Nu noch, und eine lichte Flamme beleuchtete die Bäume und Gesichter in der düsteren Umgegend. Die Burschen stürzten darauf los. Sepp wälzte sich am Fuße des Crucifixes in Flammen. Sein Gesicht war im Augenblicke, als das Lämpchen gestürzt war, vor Schreck nahe der Pfanne gekommen, und das Pulver ihm daher ins Auge geblitzt. Vor Schmerz stürzte er hin, das Lämpchen stel mit ihm und in seine Kleider hinein, welche Flammen fingen,

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