Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

5 dem er dem Zierthaler eutgegeugeht und ihm die sonngebräunte Hand reicht. „An Euch bin ich geschickt und hab' was zu bestellen." Dabei greift er in den Brustlatz und sucht etwas. „Von wem^und was?" „Einen Brief vom gnädigenHerrn." — Und dabei hat er ihn auch schon in der Hand und gibt ihn dem Hausherrn. — Der sieht ihn von vorne und hinten an, öffnet ihn noch nicht, so wie es alle Leute machen, die wenig Briefe bekommen. Endlich ruft der Zierthaler: „Rost!" und das Mädel mit den schwarzen Sammtaugen und dem braunen Haar, glänzend wie eine frische wilde Kastanie, steht auch schon bei ihm und läßt ihre Augen nach allen Seiten und auf Alles funkeln. Sie hat auch schon den Brief in der' Hand, bricht das Siegel ganz regelrecht, wie der Herr Schulmeister selbst, schlägt das Papier auseinander und liest. Auf dem Lande liest man Alles laut; denn man hat keine Geheimnisse und selten etwas, worüber man sich zu schämen hätte. Die Knechte lassen die Löffel entweder in der Schüssel oder im Munde stecken, rühren sich nicht nnd spitzen hoch- auf die Ohren. „Mein lieber Freund Zierthaler!" liest Nosi mit dem Hellen Sümmchen. „Noch einmal!" sagt der Zierthaler; er weiß nicht, ob er nach dem früheren Vorfälle solche Worte recht gehört. „Mein lieber Freund Zierthaler!" wiederholte Rost. Die Knechte drehen die Köpfe nach rechts und links und nicken sich zu, indem sie die Augenbrauen heben. „Daß die Gäste auf deu morgigen Tag erwartet werden, wißt Ihr. Morgen um acht Uhr Früh ist also feierlicher Einzug nach der Kirche. Erst Gott, dann wir. Ich wünsche, daß alle Bewohner der Gegend sich versammeln und den Männern zuhören, ebenso wünsche ich, daß Jedermann zu ihrem festlichen Empfange beitrage, und darum bitte ich wenigstens, daß Ihr selbst im Sonntagskleide kommt, und sicherlich Eure schnmcke Rost, denn die muß den Zug der Jung- frauen anführeu. Ich bleibe Euer (der Name)." Nosi erröthete bei ihrer Erwähnung nnd lächelte, daß die letzten Worte sich nur schwer durch die Perleuzähne drängten; aber endlich war der Brief ganz heraus. Vincenz nickte Rosi sehr herzlich zu. Die Knechte murmelten untereinander nnd arbeiteten nun im Eß- zeuge weiter; der Zierthaler stand, die Hände im Hosengurte, mit auseinandergestemmten Füßen, sagte keinen Laut und dachte eine Weile, dann nahm er den Brief aus Rosi's Hand, steckte ihn ein und sagte noch immer nichts. Aber eine Weile ging er im Hofe hin und her und legte die Hände dabei auf den Rücken. Der Sepp schlich mehr als er ging zu Vincenz und flüsterte mit ihm, während Rost nicht wußte, solle sie lachen oder weinen. So im Kranze, im Sonntags- kleide zu sein und mit allen Mädeln, ja ihnen voran, zu gehen, das ist, wenn auch etwasgeuirlich, doch eingarHübsches! Rosi ging endlich zum Vater und wollte ihm mit ihren schwarzen blitzenden Augen in seine grauen, starren sehen und ihm schön thun; aber der Zierthaler hatte sich schon gefaßt. „Du gehst nicht, und ich geh' auch nicht!" stieß er plötzlich fest und barsch heraus. Rosi zitterte das Herz unter dem Leibchen. „Nein, und es soll nicht sein!" schrie fast der Zierthaler, indem er mit geballter Faust die Luft durchstrich. „Wenn ich einen Gast bekomm', so ist er willkommen; die Paradestube nnb die Himmelbetten sind immer bereit; im Uebrigen lass' ich mich auch nicht spotten; Gott sei Dank, 's hat's nicht Noth! Aber hiu- gehen werd' ich nicht und sollst Dn auch nicht!" „Aber, Vater, denkst nit, daß der gnädige Herr bös sein wird?" sagte Rost schüchtern, indem sie eine Hand aus Ohrläppchen legte. Dabei sah sie ihn verstohlen an.

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