Zwei Ehen auf Befehl. Zeitbild aus Stadt Steyr's Vorzeit von Koinrieh Keinntnirillor. (Nachdr.. ck Verb o ten.) Ziathssitzung der Stadtväter er landesfürstlichen Stadt Steyr m 21. November 1514 war ine sehr bewegte und ereigniß- ,eiche. In der großen Raths- stnbe hatten der Stadtrichter Michael Kernstock*) und die 12 Rathsherren soeben mittelst Stimmzettel den neuen Bürgermeister für das Jahr 1515 ge- wählt und der Stadtrichter die Zettel dein edlen Herrn Wolfgang Jörger, der- nialigem Landeshauptmann in Oesterreich ob der Enns, übergeben, der mit dein Vicedom**) des Landes, Georg Sieg- harter, diese Wahlen zu leiten hatte. Beide waren zu diesem Zwecke nach Steyr gesandt worden und hatten mit aner- kennensiverther llmsicht bisher ihres Amtes gewaltet. Der Landeshanptinann saß am oberen Ende der langen Tafel in der Btitte, rechts von ihm hatte der Bicedom seinen Platz, der Stuhl links von beut edlen Herrn Wolfgang Jörger war unbesetzt, dann folgte in der Sitzordnung der Stadtrichter und hierauf die Rathsherren, letztere auch wieder nach ihrem Range, der sich durch die Länge von deren Zugehörigkeit zum Rathe, sowie durch ihre Stellung im bürgerlichen Leben ergab. Herr Wolfgang Jörger war ein ältlicher Herr mit feingeschnittenen, etwas strengen Gesichtszügen, denen aitch sein ganzes Gehaben entsprach. Mit leichtem Kopfnicken, das wohl eine Art Dank sein sollte, übernahm er die Stiinmzettel vom Stadtrichter und gab sie, ohne dieselben anzusehen, dem Bicedom, der dieselben, sich leicht gegen den LaudeShaupt- inann verneigend, eben so stninm übernahm, wie sie ihm dargeboten ivurden, und vorerst bedächtig abzählte. „Die Anzahl ist richtig", sagte er dann und seine mächtige Baßstimme grollte wie ferner Donner durch die große Rathsstube, „wann Euer Gnaden befiehlt, kann das Stimmzählen beginnen !" „Wohl", stimmte der Landeshauptmann kurz und bündig zn. Herr Georg Siegharter sah den Stadtrichter an, der sich bereits einen Bogen Papier zurecht gelegt und die Kielfeder eingetunkt hatte und jetzt dem Bicedom zunickte, als wollte er sagen: „Rnr zn —- ich bin bereit zu schreiben." Der Bicedom las nun die Namen von den Wahlzetteln ab, deren jeden einzelnen er hierauf dem Landeshauptmanne vorlegte, welcher gleichfalls die Namen laut und deutlich, zum Stadtrichter gewendet, ablas, der dieselben aufschrieb. „Habt Ihr gezählt, Herr Stadt- richter?" fragte dann der Landeshauptmann. „Ist grad nicht viel zn zählen, Euer Gnaden", meinte Herr Michael Kernstock lächelnd und überreichte dem Landes- hanptmann das Zählblatt, „es wurde nur e i u Name genannt — der weise Rath hat einstimmig gewählt!" Das Lächeln des Stadtrichters hatte sich indeß über die Gesichter aller Anwesenden verbreitet, welche das Wahlergebniß durch die Verlesung der Namen von den Stimmzetteln ja ohnehin schon wußten, der Bicedom stieß ein brummiges Lachen hervor, das so seinen Bei- *.) Am Sonntag vor St. Thomas für das Jahr 1315 zum Stadtrichter gewählt. **) Etwa Landeshauptmann - Stellvertreter. 7
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