Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

90 land die Türkei gegen sofortige Zahlung eines höheren Geldbetrages zu einem freiwilligen Verzicht auf Kreta bewegen oder wenigstens den Abzug der türkischen Truppen aus Kreta erreichen wollte, wurde oon der Pforte mit Entrüstung abgelehnt. Türkisch-griechischer Krieg. Während auf Kreta die inneren Kämpfe fort- dauerten und die Großmächte sich vergeblich bemühten, dieJnsel zu pacificiren, hatte die griechische Regierung ihre Truppen in Thessalien und gegen Türkisch-Epirus vorgeschoben, was die Türkei nöthigte, auch ihrerseits starke Truppenkörper an die bedrohte Grenze vorzu- schieben. An die Spitze der griechischen Truppen wurde Kronprinz Constantin von Griechenland gestellt, während die türkische Hauptmacht von Edhem Pascha befehligt wurde. Die Gefahr, welche dem europäischen Frieden durch das Gegenüberstehen der beiden Armeen drohte, veranlaßte die Großmächte, in Constauti- nopel und in Athen identische Noten zn überreichen, worin darauf aufmerksam gemacht wurde, daß der angreifende Theil die ganze Verantwortung für die Friedensstörung werde tragen müssen, und daß ihm die Mächte nicht gestatten würden, aus dem Kampfe Nutzen zu ziehen. Trotz dieser Warnung überschritten am 9. April 1897 griechische Freiwillige und irreguläre Truppen zwei Stunden vor Krania die türkische Grenze, wobei sie ein Blockhaus durch Geschützfeuer zerstörten und mehrere türkische Wachhäuser niederbrannten, von türkischen Truppen dann aber zurückgeschlagen wurden. Am 16. April 1897 griffen sohin griechische Truppen oder doch unter dem Befehle griechischer Officicre stehende Mannschaften neuerdings türkische Positionen au und konnten nur nach dreistündigem Kampfe wieder zurückgeschlagcu werden. Diesen griechischen Provocationen gegenüber sah sich die Pforte veranlaßt, Griechenland den Krieg zu erklären, und am 20. April 1897 begann der allgemeine Vormarsch der türkischen Armee. Sicher, wenn auch langsam, rückten die Türken vor und entrissen den Griechen allmälig alle an der Grenze occupirten Positionen. Die bedächtige Action Edhem Paschas, schien jedoch der obersten Kriegführung in Coustautinopel nicht zu behagen, und so entsandte am 23. April 1897 die Pforte den Ghazi Osman Pascha, den Löwen von Plevna, ins türkische Hauptquartier. Noch ehe jedoch Osman Pascha zur Operationsarmee gestoßen war, hatte Edhem Pascha bereits den ersten entscheidenden Schlag geführt; in erbitterten Kämpfen hatte er alle von den Griechen besetzten Höhen eingenommen, und als die türkische Armee durch den Melunapaß debuchirte, wendete sich das griechische Heer nach einem kurzen Gefechte bei Mati zu panikartiger Flucht, so daß bereits am 24. April türkische Truppen in die Hauptstadt Thessaliens, Larissa, einrücken konnten, während sich die griechische Armee in Eilmärschen gegen Pharsalos nach rückwärts cpncentrirte. Glücklicher als die Griechen in Thessalien waren die griechischen Truppen in Epirus; begünstigt durch die Meuterei türkischalbanischer Bataillone drangen sie ziemlich ungehindert vor und bedrohten bereits Janina; die griechische Flotte aber beschäftigte sich unterdessen mit einem erfolglosen Bombardement von Prevesa und niit der Beschießung einzelner kleinerer türkischer Küstenorte. Der Sieg Edhem Paschas bei Mati, welcher auch die Rllckbe- rufung OsmanPaschas zur Folge hatte, ließ auf die ursprüngliche griechische Kriegsbegeisterung eine tiefe Niedergeschlagenheit folgen. Dem An- drängen des Volkes entsprechend, forderte König Georg den Ministerpräsidenten Delyannis, welcher die kriegerischen Gelüste der Griechen aufgestachelt und genährt hatte, auf, seine Demission zn geben, und da Delyannis sich dessen weigerte, so betraute der König den Oppositionsführer Ralli mit der Bildung eines neuen Cabinets. Den Volksmassen schien aber dieser Schritt nicht zu genügen; sie richteten ihre Anklagen vielmehr auch gegen die Heeresleitung, welche der Unfähigkeit geziehen wurde, und gegen die Dynastie selbst, deren Lage damit eine kritische wurde. Die anti- dyuastischen Kundgebungen nahmen bereits einen bedrohlichen Charakter an: die Kronprinzessin wurde auf der Straße ausgepfiffen, der Pöbel griff die Residenz des Kronprinzen, Ach a ia, an, bemächtigte sich der Waffen der köuigl. Garden, zerstörte die Einrichtung und verbrannte die Papiere. Dagegen erklärte Ralli, er habe nicht die Regierung übernommen, um das Königshaus anzugreifen, sondern um es zu stützen. Inzwischen war die siegreiche türkische Armee langsam gegen Pharsalos vorgerückt, woselbst der Kronprinz

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