Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

83 gehört. Viele Personen wurden umgeworfen und mit Füßen getreten. Schwere Anklagen wurden diesfalls gegen die Herrenwelt erhoben, welche, um sich selbst zu retten, alle Gebote der Ritterlichkeit und Menschlichkeit unbeachtet gelassen haben soll. Das Feuer verbreitete sich so rapid, daß, als die ersten Feuerwehrmänner eintrafen, das Gebälke bereits bräunte und zahlreiche, noch im Inneren befindliche Personen unter den Trümmern begrub. Schrecklich war der Anblick der ersten Geborgenen. Bei vielen Leichen war der Oberkörper vollständig verkohlt während die untere Körperhälfte, selbst die Kleider, ganz unversehrt waren; andere Opfer der Katastrophe waren so vollständig verkohlt, daß deren Agnoscirung unmöglich wurde. Die Leichen wurden durch städtische Ambulanzen in den Jndustriepalast befördert, woselbst sich bei den vorgenommenen Agnoscirungsversuchen herzzerreißende Scenen abspiclten. Viele Verwundete wurden in ein Hotel am 6our» la Keine, zahlreiche andere in das Hospital Beaujon und in Privatgebäude überführt. Das Personale verschiedener, in der Nähe des Bazars (welcher unter dem Präsidium des Prinzen August Arenberg und der Gräfin Grcffulkc, gebornen Larochefoucault, von der aus dem vorigen Jahrhunderte stammenden philanthropischen Gesellschaft veranstaltet wurdet gelegenen Etablissements machte sich um die Rettung zahlreicher, durch den Brand Bedrohter in opferwilligster Weise verdient. Die Bediensteten einer benachbarten Druckerei halfen etwa 30 Personen auf eine Mauer, und dem auf dieser Mauer postirten Personale des oberwähnten Hotels am 6ours In Reine und eines Palais gelang es, jene 30 Personen vollends zu retten. Die Zahl der Todten wird mit 111 angegeben, während jene der Verwundeten mehrere hundert übersteigen dürfte. Die Opfer der Katastrophe recrmirten sich zum größten Theile aus aristokratischen Kreisen, da die elegant decorirten Säle mit den zierlichen Verkaufsständen, hinter welchen die vornehmsten unb schönsten Frauen des französischen Adels ihres Amtes walteten, der neutrale Bo- denwaren, aufwelchem sichderexclusiveFaubourg- St. Germain mit der höheren Bourgeoisie und der Finanzaristokratie begegnete; hier war hauptsächlich durch die Vermittlung der Geistlichkeit die gesellschaftliche Scheidewand zwischen diesen Classen gefallen, hier fand die Annäherung der Aristokratie an die Republik statt. Als bester Beweis hiefür mag gelten, daß Mme. und Btllc. Faure zu den eifrigsten Besucherinnen solcher Bazare zählten (man fürchtete anfangs sogar, Mlle. Faure sei bei der Katastrophe ebenfalls verunglückt), während unter den Patronessen Damen, wie die Herzogin de Mun, die Gattin des langjährigen Führers der Royalisten, die Baronin Mackau, die Gemahlin des Chefs der bonapartistischen Partei, die Herzogin von Uzös, die eifrige Boulangistin, zu finden, mit einem Worte alle conservativen Parteien vertreten waren. Außer der Herzogin von Alenxon, der Schwester unserer Kaiserin Elisabeth, über deren Tod nur bereits unter „Oesterreich-Ungarn" berichteten, fanden noch viele Damen der Aristokratie im Wohlthätigkeitsbazar ihren Untergang. Daß der Brand so rasch um sich greifen und so zahlreiche Opfer fordern konnte, war die Folge des Umstandes, daß einerseits, wie bereits erwähnt, der ganze Bau aus Holz errichtet und andererseits derselbe nach dem Muster von „Alt-Wien" als Straße von „Alt-Paris" decorirt worden war. Die Straße war 80 Meter lang und 10 Meter breit. 22 Läden dienten als Verkanfsstände. Die Beschränktheit des Raumes, die große Anzahl der Besucher, die Unterabtheilungen der Verkaufs- stünde wirkten zusammen, um sowohl das Umsichgreifen der Flammen zu erleichtern, als auch das Entkommen der vvm Feuer bedrohten Besucher zu erschweren. Ein indirectes Opfer der Pariser Brand- katastrophe war auch der Herzog vonAumale, welcher in Zucco in Sicilien am 7. Mai 1897 in dem Momente verschied, als er die Nachricht von dein entsetzlichen Tode der Herzogin von 81 seit9on empfing. Der Herzog von Aumale war das hervorragendste und angesehenste Mitglied seines Hauses unb eine der hervorragendsten und angesehensten Persönlichkeiten seines Landes. Zweimal war er aus Frankreich verbannt; in der Zeit von dem Sturze des Königs Ludwig Philipp, seines Vaters, bis zur Begründung der dritten Republik und dann in der Epoche der Allmacht Boulauger's, dessen Berurtheilung erst ihm den Rückweg in die Heimat öffnete. Beidemale K» ’

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