Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

68 Debatten, welche mit der einstimmigen Annahme dieses Antrages endeten, worauf bon Seite der Regierung die sofortige Euthaftuug des Abgeordneten telegraphisch verfügt wurde. Am 2. April überreichte Ministerpräsident Graf Badeni infolge der Schwierigkeiten, eine parlamentarische Majorität zu bilden, da der verfassungstreue Großgrundbesitz nicht allein und ohneMitwirkung auch sonstiger liberaler deutscher Vertreter in die neue Mehrheit eintrsten wollte, die Fortschrittspartei aber die angekündigte Sprachen Verordnung für Böhmen als unannehmbar erklärte, die Demission des Gcsamiuteabiucts, welche jedoch von Sr. Majestät nicht angenommen wurde. Am 6. April publicirte die kaiserliche „Wiener Zeitung" die vom 3. April 1897 datirte, von den Ministern des Innern, der Justiz, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues gezeichneten Sprachenverordnungen für Böhmen, deren erste den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden in Böhmen betrifft, während die zweite die sprachliche Qualification der bei den Behörden in Böhmen angestellten Beaurten normirt. Nach der ersteren Verordnung erstreckt sich die Zulässigkeit der beiden Landessprachen auf alle obigen Ministerien unterstehenden Behörden, und müssen nunmehr nicht nur die Bescheide, sondern auch alle Referate, Berathungen und Correspondenzen in der Sprache der Eingabe — sobald es sich um Partcieneiugaben handelt — erfolgen. Am 8. April erfolgte die provisorische Wahl des Präsidiums des Abgeordnetenhauses, und gingen aus der Wahl Dr. Kathrein (Clericaler) als Präsident, David Ritter v. Abrahamovicz (Pole) als I. und Dr. Kramär (Jungczeche) als II. Bicepräsident hervor. Die böhmischen Sprachenverordnungen veranlaßten die Einbringung dreier Dringlichkeitsanträge im Abgeordnetenhause, von welchen die Anträge der Deutschen Fortschrittspartei und der Deutschen Volkspartei die sofortige Aufhebung der Verordnungen, jener der Schönerer-Partei deren Vorlage und sofortige Berathung verlangten. Die Dringlichkeit wurde abgelehnt. Am 23. April publicirte die „Wiener Zeitung" Sprachenverordnungen für Mähren, deren Inhalt mit den diesfälligen Verordnungen für Böhmen identisch ist. Am 30. April wurden im Abgeorduetenhäuse seitens der Schönerer-Gruppe, der Deutschen Volkspartei und der Deutschen Fortschrittspartei drei Anträge auf Versetzung des Ministerpräsidenten Grafen Badeni und der übrigen, auf dcu Sprachenverordnungen für Böhmen und Mähren unterschriebenen Minister in Anklagestand wegen Verletzung der Verfassung gestellt. Diese Anträge wurden jedoch, nachdem sich mehrere deutsche Gemeiudever- tretnngen Oesterreichs, darunter auch jene von Brunn und Wien, sowie die von der Deutschen Fortschrittspartei nach Teplitz und von der Deutschen Volkspartei nach Reicheuberg auf den 2. Mai eiuberufenen deutsch-böhmischen Parteitage in mehr oder minder scharfen Resolutionen gegen die Sprachenverordnungen ausgesprochen und uachdeiu auch der verfassungstreue Großgrundbesitz im Abgeordnetenhause gegen diese Verordnungen Stellung genommen hatte, am 8. Mai nach einer ebenso heftigen als tumul- tuöseu Debatte dadurch beseitigt, daß das Ab- georduetenhaus mit 203 gegen 163 Stimmen über dieselben einfach zur Tagesordnung überging. Am 4. Mai bestätigte das Abgeordnetenhaus sein provisorisches Präsidium, und am selben Tage brachten Dr. Eben hoch und Genossen einen Gesetzautrag der katholischen Volkspartei auf Abänderung des Reichsvolksschulgesetzes im Abgeordnetenhause ein. Derselbe basirt auf autonomistischer Grundlage, iudeni er die intercoufessionelleu Verhältnisse der Volksschulen durch die Landesgesetzgcbung geregelt wissen will. § 1 normirt, daß die Volksschule die Aufgabe habe, die Kinder nach den Lehren ihrer Religion sittlich zu erziehen, deren Geistes- thätigkeit zu entwickeln, sie mit den zu ihrem Fortkommen und zur weiteren Ausbildung für das Leben erforderlichen Kenntnissen und Fertigkeiten auszustatten und die Grundlage für die Heranbildung nützlicher Glieder der menschlichen Gesellschaft zu schaffen. Die Schulpflicht beginnt nach dem Antrag mit vollendetem 6. Lebensjahre und hat für den Alltagsunterricht mindestens 6 Jahre zu dauern; alle weiteren Regelungen der Dauer uud der Art der Schulpflicht stehen der Landesgesetzgebung zu. Der Uebergang zur Tagesordnung über die Ministeranklage-Anträge der deutschen Oppo-

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