Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

56 „Sagen Sie, lieber Assessor, ich hörte jüngst mancherlei von Ihnen; Sie werden wohl wissen, was, und um Ihre Vertheidigung zu hören, bat ich Sie, heute zu mir zu kommen. Ich bin eigentlich böse auf Sie, denn weswegen fingen Sie Händel mit dem Lieutenant von Stein an, wenn es wirklich wahr ist, daß Sie sich nachher weigerten, seine Forderung zum Duell anzunehmen?" „Es ist wahr, Herr Commercienrath, ich habe abgelehnt; aber darf ich Ihnen den ganzen Hergang des Vorfalles berichten?" „Danke," warf der Commercienrath kurz dazwischen, „ich bin bereits ganz genau und ausführlich von der Sache unterrichtet. Ich wollte Sie nur fragen, ob es in der That Ihr völliger Ernst bleibt, das Duell nicht anzunehmen?" Werner erklärte fest und bestimmt, daß er den Kampf mit der Gesellschaft aufnehmen wolle. „Die Gesellschaft hat nicht das Recht, den Stab über Demjenigen zu brechen, der sein Leben nicht dem Phantom ,Ehre° opfern will. Daß mich meine Gegner hier angreifen, kann ich ihnen nicht verdenken; daß die Gesellschaft mich aber verläßt, ist verächtlich!" „Was wollen Sie von der Gesellschaft, Herr Assessor? Die von heute ist die von gestern, niag die heutige fallen, die von morgen wird der unseligen wiederum ähnlich sein. Doch zur Sache: ich mache Sie bei Ihrer Ablehnung darauf aufmerksam, daß Sie doch Reserveofficier sind und als solcher Ehrenpflichten haben." Werner sah dem Commercienrath fest und ruhig in die Augen. „Ich erlaube mir, Ihnen die Mittheilung zu machen, daß ich bereits aus dem Officiersstande ausgeschieden bin; ich habe mein Abschiedsgesuch eingereicht." Werner bemerkte, wie Herr von Holm bei seinen Worten zusammenfuhr, und wie seine Miene dann einen kühlen, ablehnenden Ausdruck annahm. Jetzt erhob sich der Commercienrath vom Sopha und sagte, einenSchritt von demAssessorzurück- tretend, mit scharfer, frostiger Stimme: „Ich bedauere, Herr Assessor, Ihnen nach unserer heutigen Auseinandersetzung klar machen zu müssen, daß ich unter- allen Umständen einen Mann nicht meinen zukünftigen Schwiegersohn nennen kann, der nicht mehr satisfactionsfähig ist. Mein Schwiegersohn muß den Muth haben, sich zu schlagen; er muß im Stande sein, die Ehre seiner Familie, wenn es nothwendig ist, mit der Waffe in der Hand zu vertheidigen. Werner war sehr bleich geworden; doch er hoffte noch auf Elsa. „Es schmerzt mich tief, Herr Commercienrath, daß Sie mir das alles sagen; Sie, der Vater Elsa's, des Mädchens, das ich liebe, weil es edel und gut ist, und das mich wieder liebt mit der ganzen Kraft ihrer großen Seele. Ich weiß es, Elsa wird meine Ansichten von der Ehre theilen. Wollen Sie mir vergönnen, Elsa einmal, bevor ich gehe, zu sprechen?" „Wenn Sie es durchaus wünschen, Herr Assessor, gewiß! Nur glaube ich nicht, daß mein Kind in Ehrensachen anders als ihre Eltern denkt." Herr von Holm ließ seine Tochter- rufen. Nach einigen Minuten trat sie in den Salon. Elsa von Holnr war wirklich eine Schönheit ersten Ranges, mit regelmäßigen, wie aus Marmor gemeißelten Gesichtszügen, spanischen Augen und vollem dunkeln Seidenhaar. Ihre Haltung war stolz, königlich. Den Assessor begrüßte sie mit wenigen Worten; dann sah sie ihren Vater erwartungsvoll an und sagte: „Du ließest mich rufen, Papa. Wünschest Du etwas?" „Zuerst nimm Platz, mein Kind, und dann höre mich ruhig an; auf Deine Meinung kommt es hier an!" Gehorsam nahm Elsa Platz. Der Commercienrath erzählte seiner Tochter nun noch einmal die Geschichte des Assessors, die sie schon ausführlich wußte. Zum Schluß fragte ihr Vater, was eigentlich ihre Ansicht von der Angelegenheit wäre.

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