Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

42 Gemach verlassen; denn ihre Augen irrten schon über die von kräftiger Män- nerhand geschriebenen Zeilen, welche lauteten: „Mein theures Kind! Soeben erhalte ich von meinem Anwälte die Nachricht, es sei in der Geschäftsangelegenheit, die mich nach Berlin geführt hat, vom Gericht für heute 3 Uhr ein Termin angesetzt. Das ist mir natürlich sehr fatal, aber unabänderlich. Dadurch bin ich nun in die unangenehme Lage versetzt, Dir für heute einen Refus*) zu geben. Wie leid mir das thut, brauche ich wohl kaum erst zu versichern. Niko muß nun den alten Onkel entschul- digen und für ihn die Unterhaltung doppelt interessant gestalten, was er übrigens vortrefflich verstehen wird. Mit ergebenem Handkuß, wie immer freundschaftlich von Donnersberg." Mehrere Minuten saß Barbara, den Brief in der Hand, regungslos auf ihrem Platze. „Mit ihm allein — Stunden - vielleicht zwei, drei Stunden — mit ihm allein!" so brauste es durch ihr Hirn. — Der arme Koch mußte an diesem Tage eine Kränkung erleiden. Wohl noch niemals hatte er ein Diner von solcher Güte und exquisiter Feinheit hergestellt; allein Diejenigen, welchen es vorgesetzt umrde, schienen für diese gastronomischen Kunstwerke kein Verständniß zu habe». Auch die edlen Weinsorteu, welche der Kammerdiener ihrer Excellenz zwischen jedem Gange herumreichte, fanden nur wenig Anerkennung. Die Speisen wurden kaum berührt. In ihren Stuhl zurück- gelehnt, hatte Barbara nur Aug' und Ohr für das, was mit seltsam weichem, sonorem Organ in feurig beredter Weise über des Gastes Lippen kam. Sie antwortete meist kurz mit auffallend gepreßter Stimme. Zuweilen auch schwiegen Beide, dann — flog ein Engel durch das Zimmer. *) Ablehnung der Einladung. Jawohl, ein kleiner pausbäckiger Engel mit Pfeil und Bogen; aber er ließ sich zwischen Barbara und Niko nieder und richtete dann seine gefährlichen Wurfgeschosse auf ihre klopfenden Herzen. „Nicht wahr, Graf Niko, Ihre thörichten Ideen wegen Afrika haben Sie aufgegeben? Bedenken Sie doch Onkel Donnersberg, der alt ist und dem Sie eine solche Trennung nicht zumuthen können," sagte Barbara zagend, indem sie nach eingenommener Mahlzeit dem Gaste in ihrem trauten Boudoir gegenüber saß und tändelnd mit dem Fächer spielte. Sie sah berückend schön aus in diesem Moment; ihr blondes welliges Haar hatte einen wunderbaren Goldglanz und kräuselte sich bis tief iu deu Nacken, der unter den Spitzen des Halsausschnittes blendend weiß hervorleuchtete; und wahrhaft sinnberückend war der Ausdruck ihrer halb verschleierten blauen Kiuder- augen. Keinen Blick vermochte Graf Lieveu von ihr abzuwcudcn, als- er schwerathmend, aber rasch entgegnetc: „Wenn Ew. Excellenz mir vor drei Tagen diese Frage vorgelegt, würde ich entschieden mit Nein geantwortet haben, jedoch heute erkläre ich offen: ich möchte — könnte das Vaterland nicht mehr verlassen!" Pause. — Der Diener reichte winzig kleine Meißener Mokkatäßchen herum; das Zimmer wurde plötzlich mit aromatischem Kaffeeduft erfüllt. Barbara schien förmlich aufzuathmen, als ihr Gast nach einer Tasse langte. Gottlob, das war ja wieder eine glückliche Unterbrechung dieses gefährlichen tüta-ü-tätS. Da — welche Schicksalstücke! - fielen ihre Blicke gerade auf des Grafen wvhlgeformte Hände, als er im Begriff stand, sich ein Stück Zucker zu uehnien. Genau wie Oberst von Donnersberg es gethan, ohne sich der ominösen Zange zu bedienen, erfaßte er mit Daumen und Zeigefinger ein Stück und ließ es, ahnungslos über den Verstoß gegen die

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