Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1898

39 andere geworden; sie ließ es aber weder ihrem Verlobten, noch ihren Eltern merken. Mit fast übermenschlicher Gewalt suchte sie gegen etwas anzukämpfen, was ihr Inneres nicht allein in wilden Aufruhr gebracht, sondern auch mit peinigender Angst erfüllte; Wochen — lange Wochen hatte sie mit dem Entschlüsse gerungen, vor den Verlobten hinzutreten und ihm zu sagen: „O erbarme Dich meiner und gib meine Hand wieder frei; denn, ich bin Deiner Güte und Nachsicht unwerth, ich liebe einen Anderen!" Aber der Gedanke, den: edlen Manne durch solch ein Bekenntniß den Todesstoß versetzen zu müssen, hielt sie immer davon ab. Hatte sie einmal etwas Fassung erlangt, so schalt sie sich eine Phantastische Närrin, eine überspannte Jdealistiu, die nach einem Phantom hasche und sich Dinge in den Kopf setze, welche ein vernünftig und ruhig denkender Mensch und so natürlich auch Otterstein belächeln würde. Nein, einer Schuld war sie sich ihm gegenüber nicht bewußt; so beschwichtigte sie ihr hochklopfendes Herz und bemühte sich, durch innige Beweise treuer Hingebung und Zuneigung ihrem Verlobten im Stillen abzubitten. General von Otterstein war überglücklich und überschüttete Barbara mit fürstlichen Geschenken. Sein Glück, seine Freude und seelische Zufriedenheit hatten ihn förmlich verjüngt. Zwei Monate nach jenem Besuch in Lützow hatte er Barbara in sein mit allem nur denkbaren Comfort und dem größten Luxus eingerichtetes Haus iu Berlin als jugendliche Herrin eingeführt. „Die Generalin von Otterstein ist im wahren Sinne des Wortes eine bc- neidenswerthe Frau. Ihr Gatte trägt sie auf Händen; ihre Stellung ist unvergleichlich angenehm, ihr Haus eiu Schmuckkästchen, und ihr reizendes, stets lachendes Gesicht beweist ja vollkommen, daß sie sich ihres Glückes bewußt ist!" so sagten Bekannte und Freunde der jungen Frau. Ob dieser Ausspruch auch wirklich gerechtfertigt war? Außer Barbara gab es UM Niemanden, der das mit Bestimmtheit hätte behaupten können. Wenn die aufopfernde Liebe und innige Fürsorge eines treuen Gatten, die Hochachtung Aller, die ihr nahestanden, einem Frauenherzen genügen können, dann freilich mußte sie sich gestehen, ein Los erwählt zu haben, um das sie Tausende beneiden konnten. Ja, sie war wohl glücklich!-------------- . Und dennoch kamen Augenblicke, in denen sie sich recht, recht unglücklich fühlte; zuweilen, wenn sie iu prächtiger Toilette, strahlend von Diamanten, au der Seite ihres Gemahls zu einem glänzenden Feste fuhr, oder ihm im traulichen Boudoir gegenüber saß und er sie leidenschaftlich an die Brust zog, indem er wiederholte: sie sei die Perle des weiblichen Geschlechts, ein Engel in Menschengestalt — dann kamen Augenblicke der tiefsten Rene, die an ihrem Herzen nagte, dann fühlte sie sich erniedrigt; denn sie mußte es sich sagen - - sie betrüge den Gatten, die ganze Welt und sich selbst. Wie gern würde sie Rang, Reichthum, ja allen diesen trügerischen Schimmer mit Freuden hingeben für einen einzigen tiefen, warmen Blick aus jenen blauen Männerangen, die sie nur einmal geschaut — aber nie vergessen konnte! Allein Barbara war standhaft genug, sich dafür selbst die Buße aus- znlegen. Whrcnd der drei Jahre, in denen es ihrem alternden Galten noch vergönnt war, das Leben mit ihr 511 theilen, war sie Tag für Tag, Stunde für Stunde bestrebt gewesen, ihm durch tausendfache Beweise rührender Aufopferung und selbstlosester Pflichterfüllung sein Dasein zu erhellen, sein Haus zu einem wahren Horte des Glückes zu gestalten. Und als nach kurzer Krankheit ganz unerwartet schnell der Augenblick kam, an dem Excellenz General von Otterstein dem Winke seines höchsten Befehlshabers folgen mußte und seiner irdischen

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