86 eingefallen sein, denn er richtete an die jnnge Frau die Frage: „Nicht wahr, Bärbel, ich irre mich nicht, den Niko kennst Du doch, wie?" „Gewiß, Onkel, ich habe Deinen Pflegesohn vor sieben Jahren einmal gesehen. Ja, richtig, nur einmal, als ich noch Braut und kurz vor der Hochzeit bei Euch in Lützow zu Besuch war," antwortete die Angeredete, indem sie die Hand über die Augen legte, um sie vor dein matten Lichtschein der rosa verhangenen Lampe zu schützen. „Nur einmal! Wie gut Du das noch weißt, mein Kind. Er ist seit drei Jahren nicht zu Hause gewesen. Ach ja, Bärbel, ich habe Kummer wegen des Jungen." „Kummer? Wieso? Du sagtest doch sonst immer, Graf Lieveu bereite Dir die größte Freude! Oder ist er etwa krank?" erkundigte sich die junge Dame zögernd. „Durch eine dumme Geschichte ist er ürzlich Invalide geworden und sah sich genöthigt, den Abschied zu nehmen. Das geht mir sehr nahe! Erinnerst Du Dich noch, er durfte mit Prinz Heinrich die Reise um die Welt machen und stand, da er bei seinen Vorgesetzten stets gut angeschrieben war, bereits nahe am Capitän! Da passirt ihm vor einigen Monaten beim Einlaufen seines Schiffes in den Kieler Hafen ein fatales Malheur. Ein Kajüteujunge war über Bord gefallen, und um ihn zu retten, springt ohne langes Besinnen Niko ihm nach. Unglücklicherweise stößt er beim Sprunge auf die Kante eines dicht am Steamer befindlichen Bootes. Der heftige Anprall drückte ihm den rechten Arm aus der Achsel und brach den Schulterknochen. Es bedurfte Wochen, bis das zerschellte Glied wieder in die richtige Lage gebracht war. Trotz Schreck und Schmerzen hat Niko aber noch die Geistesgegenwart gehabt, den Jungen zu fassen und, bis Hilfe nahte, über Wasser zu halten. Der arme Niko aber hat infolge der Geschichte einen Knacks gekriegt fürs ganze Leben." „Mein Gott, wie brav das war und welch arger Lohn dafür! Wie thut mir das aufrichtig leid — für Dich und für — ihn," versetzte Barbara mit Wärme, „zumal Dein Pflegesohn mit Leib und Seele Seemann war, der sich schwer in einen anderen Beruf finden würde!" „Das ist es ja eben. Der Arm ist steif geblieben, also für den Dienst untauglich. Vermögen hat Niko nicht, und das, was er 'mal von mir zu erwarten hat, ist auch nicht von Bedeutung. Im letzten Briefe schrieb er recht verzweifelt und äußerte die Absicht, uach den Colonien zu gehen und sich bei Wißmann anwerben zu lassen." Frau Barbara's Mitleid war bei dieser Erzählung entschieden gestiegen, denn mit Hast stieß sie die Worte hervor: „Das wirst Du aber nicht dulden, Onkel,nicht wahr? Bedenke doch, die Entbehrungen und Gefahren, denen Dein Pflegesohn dort ausgesetzt wäre; schreckliche Idee — nach Afrika: es könnte ein Abschied auf Nimmerwiedersehen sein!" „Ja, von mir wird er sich leider keine Vorschriften machen lassen. Aber, wahrhaftig, es wäre famos, wenn Du Niko von diesem Plane abzubringen versuchtest und in recht abschreckender Weise ihm Alles vorstelltest, Bärbel. Er kommt übermorgen nach Berlin, um dann mit mir zu seiner Erholung einige Wochen auf mein Gut zu gehen." „Er kommt — nach — Berlin!" Bei diesem Ausrufe war die junge Dame gerade im Begriff, einen krystallenen Pokal, der eine frische Marschall Niel-Rose enthielt, vom Nipptisch zu nehmen; ihre Gedanken mußten mit einem Male eine andere Richtung erhalten haben; denn plötzlich glitt ihr das zierliche Glas aus den Fingern und lag in Scherben am Boden. „Aber, Bärbel, was machst Du denn da? Deine Hand zittert ja!" fragte Baron Donnersberg verwundert, indem er sein freundliches Auge auf der lieblichen Gestalt der jungen Frau ruhen ließ.
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