3-1 „Aber, Onkel!" Das hübsche Krauen- antlitz wurde merklich länger, und mit einem halb spöttischen, halb zornigen Ausdruck um die frischen Lippen setzte die junge Dame ihre Bürde rasch und etwas heftig bei Seite. „Wie beliebt?" fragte der Gast, indem er ein Monocle ins Auge klemmte und scheinbar herausforderno sein Gegenüber musterte. „Ich — ich begreife nicht, wie Du, der Du fast Dein halbes Leben am Hofe verbrachtest, Adjutant — Prmzenerzieher und Gott weiß, was noch Alles gewesen bist — Dich von einer so üblen Angewohnheit beherrschen lassen kannst, den Zucker mit den Fingern anzufassen, lieber Onkel!" brach es ziemlich erregt von der reizenden Hausfrau Lippen, ■ welche lebhaft fortfuhr: „Sei mir für die Bemerkung nicht böse; unter so nahen Verwandten, wie wir es sind, darf man schon offen reden, und ich muß Dir ganz ehrlich gestehen, ich finde das Nichtbentttzen der Zuckerzange, diese allen Ostdeutschen eigenthümliche Untugend, jedes bessere Gefühl verletzend!" Der alte Herr zerschnitt während diesermit steigender Erregung gesprochenen Worte in größter Seelenruhe die Brust eines kalten Fasans, legte aber plötzlich Messer und Gabel beiseite und brach in lautes Lachen aus. „Ueble Angewohnheit! Untugend aller Ostdeutschen! Gefühl verletzend! ? Haha ha! Du bist köstlich, Barbara! Glaubt Ihr denn, in Eurem Bierlande etwa die Vornehmheit gepachtet zu haben? Nimm mir's nicht übel," fügte er einlenkeud hinzu, „aber ich sollte denken, die guten ehrlichen Bayern, die ihren Maßkrug am ungedeckten Tische trinken und dazu ihren Rettig mit dem Taschenmesser schälen, könnten getrost den Zucker mit der bloßen Hand anfassen. Bei uns gibt es hie und da auch noch solch altvüterisches Juven- tarstück aus der guten alten Zeit," damit wies er nach dem unschuldigen Gegenstand des kleinen «Streites, „doch dann liegt es wohl meistens nur auf der Paradezuckerdose der Frau Pastor vont Lande! Hahaha!" „Du wirst mich doch nicht zu Deiner Ansicht bekehren, Onkel; schon vom ästhe« tischen Standpunkte aus habe ich ganz recht!" gab die junge Frau mit trotziger, überlegener Miene zur Antwort. „Aesthetischer Standpunkt! Famos! Ich hoffe doch, an Deinem Tische nur Leute von zweifelloser Reinlichkeit be- wirthet zu sehen!" scherzte oer alte Herr in unverwüstlichem Humor. „Gleichviel, Onkelchen, verspotte mich nur. Das aber will ich Dir sagen, ganz abgesehen von Dir, über dessen Thun und Lassen ich mir kein Urtheil anmaßen darf, den Bildungsgrad des Menschen —" „Bemisseft Du nach der Zuckerzange!" fiel ihr der Gast, pustend vor Lachen, in die Rede. „Du bist garstig, Onkel! Nein, den Bildungsgrad der Menschen bemesse ich danach, wie sie essen," erwiderte Frau Barbara mit Nachdruck. „Sapperment! Nä, da möchte ich beinahe schadenfroh genug fein, um Dir einmal einen gründlichen Hineiufall zu wünschen, Kindchen. Ich halte auch auf gute Manieren und setze dieselben bei Leuten, mit denen ich umgehe, auch voraus. Allein wenn ich Jemaudeu Spargel und Krebse mit Messer und Gabel essen und den Zucker mit der Zange anfasseu sehe, dann denke ich bei mir: das ist auch so ein überverfeinerter, zimperlicher Kerl !" Frau Barbara mußte bei dieser Ant- wort herzlich lachen - - warf jedoch das hübsche Köpfchen in die Höhe und eut- geguete schmollend: „Hiucinfallen?! O nein, in dieser Hinsicht glaube ich genügende Menscheu- kenntuiß zu besitzen. Doch, bestesOukelchen, über unseren kleinen Disput vergesse ich ganz, Dich zu bedienen. Bitte, von diesem Aspie versuche einmal und dann ein Stückchen geräucherten Lachs." „Auf mein Wort, da kann man wirklich sagen: embarras de richesse! Alles süperb, Bärbel, wie immer in Deinem Hause. Schade — schade nur —"
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2