St. Nikolaus. Erzählung von Alfred Acutsch-Herman. ie Generalprobe war zu Ende. Fräulein Lina Walther hatte zum Entzücken gespielt, wenigstens versicherten ihr das ihre Collegen und die wenigen Zuschauer, die zur Probe geladen waren und zu den Intimen des Hauses gehörten. Sie hatte in dem neuen Schauspiel von Gottfried Manger, das im Sturme die Welt erobert hatte, die Hauptrolle inne und war mit ihrer ganzen künstlerischen Individualität, mit ihrem ganzen vollkräftigen Genie für diese eingetreten. Lina Walther war aber auch eine treffliche Künstlerin; nach langem Ringen, nach vielem Mühsal stand sie nun im Zenith ihres Könnens. Sie war die Zierde der Hofbühne, und von Jahr zu Jahr suchte man sie durch glänzendere Bedingungen zu fesseln. Im Besitze einer herrlichen Gestalt, eines prächtigen Organs und einer außergewöhnlichen Auffassungsgabe, war Lina Walther auch zum Liebling des Publikums geworden, das sie jedesmal stürmisch auszeichnete. Den Stürmen, denen ein junges Mädchen, das sich der Bühne widmet, ausgesetzt ist, und die auch ihre Jugend, ihre Existenz bedrohen, bot das wackere Mädchen muthig die Stirne. Sie war eine der Wenigen, die das Kunstideal ihr Leben lang hoch halten und in ihrer Kunst und für diese allein leben. Oft und oft war der Versucher an das schöne Weib herangetreten, aber sie blieb ihren Grundsätzen treu und wies Jedem die Thüre, der sich ihr nahte. Jetzt, da sie die große gefeierte Künstlerin war, konnte sie sich der großen Gesellschaft nicht mehr so ganz verschließen, aber der Ruf ihrer Tugend war so groß als der Ruf ihrer Kunst. Aber die schöne Künstlerin schien auch kein Herz zu besitzen, wenigstens versicherten das Viele, die ihr Herz und Hand zu Füßen gelegt hatten und von Nachdruck verboten. ihr verschmäht worden waren. Thatsächlich aber hatte es kein Einziger von allen denen, die sie umgaben, verstanden, das Herz der jungen Künstlerin zu erobern, und da sie Keinen belügen und bei Niemandem Hoffnungen erwecken wollte, so erschien sie abstoßend und herzlos. Der Director des Hoftheaters hatte es sich nicht nehmen lassen, Fräulein Walther noch persönlich einige liebenswürdige Worte über ihre Meisterleistung in dem neuen Schauspiel zu sagen, er dankte ihr im Namen des Autors, der verhindert war, zur Generalprobe zu kommen, jedoch noch heute aus seiner Heimat ankomme, um der Premiere seines Werkes beizuwohnen. Fräulein Walther empfahl sich ihren Collegen und suchte in Begleitung ihrer Mutter ihre Wohnung auf. Das Fräulein wohnte in der Nähe des Theaters, und hatte eine ihrem ganzen Charakter entsprechende, bescheidene Wohnung inne. Sie haßte übertriebenen Luxus, und da sie mit ihrer alten Mutter allein wohnte, sah sie die Nothwendigkeit einer großen luxuriösen Wohnung nicht ein. Wenige Räumlichkeiten genügten ihr und selbst die Einrichtung eines kleinen Empfangsalons geschah erst auf dringendes Zureden ihrer Mutter. In ihrer Behausung angekommen, fand Fräulein Walther einen Brief vor, den sie lange zwischen den Fingern hielt, die Künstlerin hatte die Gewohnheit, aus den Schriftzügen die Person des Schreibers erkennen zu wollen. Aber es gelang ihr diesmal nicht.-Kopfschüttelnd erbrach sie folgendes Schreiben: „Mein gnädiges Fräulein! Gestutten Sie dem ■ Ihnen unbe- kanmen Autor, vorläufig auf diesem Wege seinen wärmsten Dank für das große Interesse, mit dem Sie, verehrte Künstlerin, sich seines Werkes annahmen, auszusprechen. Ihr Herr Director hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß Sie, mein Fräulein, im Besitze der Hauptrolle Ihre ganze Kunst für diese aufwenden, und der Erfolg mit Ihrer Leistung innig verknüpft sein wird. Ich freue mich, mein verehrtes Fräulein, Sie anläßlich der Erstaufführung bewundern zu können und hiebet die Bekanntschaft der großen Künstlerin machen zu dürfen. Bis dahin, mein Fräulein, verbleibe ich Ihr Sie herzlichst grüßender Gottfried Manger." Die Künstlerin hielt den Brief lange Zeit in den Händen, sie schien nicht ganz im Klaren mit sich zu sein, endlich aber durchzuckte sie ein Gedanke — mit einem Aufschrei ließ sie den Brief fallen. Ihre Mutter eilte bestürzt auf sie zu. „Was ist Dir, Linchen, was hast Du?" Langsam beruhigte sich die Künstlerin. „Da lies, Mutter, diesen Brief, kennst Du diese Schrift?" Die alte Dame bemüht sich, mit ihrem Glas die Schrift des Autors zu ergründen, aber sie fand nichts Außerordentliches daran. „Wir kennen ja Gottfried Manger nicht, mein Kind; er selbst schreibt, er wurde sich freuen, Dich zu kennen — Du beunruhigst Deine Nerven umsonst." „Und ich sage Dir, Mama, ich täusche mich nicht." ' 1 Die Künstlerin eilte zu einem Wandschranke und suchte lange herum, endlich fand sie einen Pack Briefe, den sie hervorzog. Nur einen Augenblick prüfte ste die schon verwischten Züge, dann reichte sie die Schriften triumphirend ihrer Mutter, und thatsächlich, die Künstlerin hatte Recht — es waren ein und dieselben Schriftzüge, der gleiche Charakter wie im Briefe des Dichters. Wäre es möglich? Sollte Gottfried Manger, der berühmte Dramatiker, mit Gottfried Bergmann identisch sein? Aber auch die letzten Zweifel schwandennach und 23 nach; er war es, ein ehemaliger guter Bekannter, als sie noch in der fernen Provinzstadt Ungarns gelebt hatten und nunmehr ein gefeierter Dichter! — Als Lina in die große Welt trat, da hatte sie nicht Zeit, an das Schicksal ihrer Freunde zu denken, und so hatte sie auch diesen aus den Augen verloren. Es war ja auch leicht erklärlich, daß er sie nicht mehr kannte, die Jugendgespielin nicht in der großen Künstlerin vermuthete, die zum Ueberflusse auch noch, gleich ihm, den Namen veränderte, und nur als Lina Walther und von Niemandem als Lina Waldherr gekannt wurde. Die Künstlerin nahm ihr frugales Mahl ein und verharrte in nachdenklichem Stillschweigen. Nach Tisch suchte sie ihren Fauteuil auf, um noch einmal ihre Rolle durchzulesen, die sie Abends spielen wollte. Aber es war ja keine Rolle mehr, es war kein bloßes Phantom, das sie darzustellen hatte; sie selbst war es, die sich mit Leib und Seele in die Rolle der unglücklichen Heldin hineinfand. Schritt für Schritt folgte sie ihr, versenkte sich in die Nuancen ihrer Stimmungen,. triumphirte mit ihr und ging mit ihr unter. Während sie aber im Buche las, schweiften ihre Gedanken darüber hinweg, sie schloß die Augen, und ihr vor zogen Bilder der Vergangenheit auf. Jahre des Triumphs flogen vorbei, und sie sah sich wieder in alten Verhältnissen, um viele Jahre jünger. Es war in einem kleinen Provinzstädtchen, tief in Ungarn an den Ufern der fischreichen Theiß, wo Lina Waldherr das Licht der Welt erblickte und ihre Jugendjahre verbracht hatt. Als Tochter eines bescheidenen Comitatsbeamten mußte sie ein sehr bescheidenes Leben führen, und wenn sie auch nichts entbehrte, hätte sie es sich doch damals nicht im Traume einfallen lassen, daß sie einst noch in den Besitz eines bedeutenden Vermögens gelangen sollte. Tag für Tag floh dahin; Lina war der Abgott ihres Vaters und
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