Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

14 eines aus dem andern hervor. Ja zuweilen geschehen Dinge aus den entgegengesetztesten Ursachen. War nicht Engelbrecht selber auf die Schönburg gekommen, weil des Landgrafen Tochter in fremden Walde Blumen pflücken gegangen war? Der junge Vogt dachte lange über solch' scheinbare Widersprüche des Geschickes nach. Seine Lampe war herunter- gebra int; es saß sich so gut im Mondschein durchflutheten Thurmgemach, seit es so behaglich eingerichtet worden. Ganz unwillkürlich fanden sich ihm Worte und Töne zu einer Liedweise: „Mir hat geträumt, daß Du mich geküßt Ganz offen vor Vettern und Muhmen, Und war doch nur zu nächtiger Frist Der Wind, der geküßt die Blumen. Mir hat geträumt, ich hielt Deine Hand, Deine Wange schmiegt sich zur meinen; Und lag doch nur an der Bretterwand Des Mondes bläuliches Scheinen. Mir hat geträumt — nnd ich bin erwacht Und alles war eitel Wähnen — Und war doch so süß und so selig zur Nacht Wie rinnende Sehnsuchtsthränen." Es war das innerste Empfinden seines Herzens, das er um keinen Preis einem Anderen geoffenbart hätte; auch Jener nicht, der es galt, vielleicht der am allerwenigsten. Aber Clarisfa hörte es doch, denn sie lehnte am Fenster ihrer Kemenate und lauschte den Klängen, die so lieb und traulich an ihr Ohr schlugen, und sie frug sich im Stillen: Wird er mir das Lied singen? Da sie ihn aber dann am andern Abend aufforderte, seine Kunst zu weisen, griff er mit einer Miene in die Saiten, so beherrscht, als ob er seinen Morgen- vortrag halten wolle. Und so auch drückten seine Worte nur unbegrenzt ehrfürchtige Bewunderung und entsagende Ergebung aus: „Die Sterne flimmern und glänzen Im nächtig dunklen Blan: So bist Du mir erschienen, Du wunderholde Frau.' Ich will nicht mit Dir leben, Ich will mich bescheiden fein — Nur auf dem gleichen Friedhof Möcht' ich begraben sein." Ctarissa war tief gerührt. Warum auch war das Schicksal so grausam, das ihn den Sohn eines schlichten, wenn auch freien Mannes hatte werden lassen, und sie die Tochter des Landgrafen? Aber sie wollte nicht weich werden, sie so wenig, wie er. Darum bot sie ihm ruhig die Hand: „Ich dank' Euch für den Sang, so traurig er ist, so gut ist er. Auch jener ist ein Held, der sich selber niederzustreiten versteht, und er vielleicht am meisten." Engelbrecht neigte das Haupt und ging in seinen Thurm hinauf. Sie hatte ihm selber die Grenze gesteckt, innerhalb deren er sich ihr nähern durfte. Sein bescheiden Herz fordert nicht mehr. — Herbst und Winter waren hingegangen in gleichförmiger Weise. Eis und Schnee hatte die Burggenosfen enger zusammengedrängt. Lange oft saßen sie beim Kienspan und erzählten sich alte Mären. Die Mägde spannen, die Knechte schnitzten Holzgerälh für den Hausgebrauch. Clarisfa stickte emsig an einer Feldbinde; wenn sie die Goldfäden durch den pfaublauseidenen Grund zog, ließ sie zuweilen den Blick lange auf Engelbrecht ruhen, als ob sie prüfen wollte, wie sie ihm zu Gesicht stehen möge. Aber die Schärpe war nicht für ihn bestimmt. Der Vogt ging ernster einher als ehemals. Wer ihn seit einem Jahre nimmer gesehen, mochte ihn kaum mehr kennen. Aus dem in die Weite sehnenden Knaben, der sich ergebungsvoll unter die Schülerregel fügte, war ein Mann geworden, der sicher und selbstbewußt seine Wege ging,^ohne zu wanken, ohne zu irren. Die ausgedehnte Wirthschaft, die dringend einer festen Hand bedurft, die vielen Dienstleute, denen er mit einem Male hatte vorstehen müssen, der lebhafte Verkehr mit den nachbarlichen Edelsitzen, die ständige Uebung aller ritterlichen Künste und vielleicht zumeist die Beherrschung, die er sich Clarisfa gegenüber auferlegen mußte — hatten ihn um zehn Jahre gereift. Das einst sanft vorwärtsgebeugte Haupt trug er jetzt hoch aufgerichtet, während das ehemals kurzgeschorene Haar lang und un- beschnitten über den Nacken, niederrieselte. Wäre der vorstehende herbe Zug in seinem Antlitz nicht gewesen, er hätte vielleicht für schön gelten können. Jedenfalls glaubte Keiner, der jemals in seine Augen geschaut, daß ihm Muth und Entschlossenheit fehle. Und wenn seine Hand nach dem Schwertgriff fuhr, dann sah man, daß unter dieser Faust sich alles beugen müsse, was ihm dienstbar, aber auch, daß sie stark und willig war, wenn es zu helfen oder zu schützen galt. Solchen Eindruck auch gewann Junker Hermann von Thüringen von ihm, als er eines lauen Frühlingstages nach Schönburg zu Besuch kam. Der war des Landgrafen Brudersohn. Früh verwaist, hatte ihn der Fürst zu sich auf die Wartburg genommen; mit Clarisfa war er anfge- wachsen, erst als ihr Spielgesell, hernach als ihr Garzun. In Ermanglung eines eigenen Sohnes hatte Herr Ludwig mit seinem Neffen wohl weitergehende Pläne; und darum auch war ihm die kindliche Neigung der beiden jungen Leute genehm. Aber zwingend beeinflussen wollte er das Herz seiner einzigen Tochter nicht. Darum hatte er sie allein auf die Schönburg gesandt, damit sie sich darein finde, selbständige Herrin zu sein und zu entscheiden nach eigenem Ermessen. Jetzt, nach Verlauf eines Jahres, hielt er den Augenblick für gekommen, wo sie frei bestimmen könne über ihre Zukunft; darum sandte er Hermann zu ihr. Clarisfa hatte den Jüngling lieb, wie einen Bruder. Darum freute sie sich kindisch, als ihr die Meldung von des Junkers Ankunft gemacht wurde. Er rief ein Empfinden in ihr wach, wie der fröhliche Lenztag, der von draußen zu den Fenstern herein blaute. Die Erinne- rung an alle Kmderträume beschwor er herauf, an alle Jugendthorheit. Wie oft hatten sie miteinander Veilchen gepflückt 15 und Ostereier gesucht. In seinen übermüthig lachenden Augen brächte er ihr das ganze Vaterhaus, die ganze Heimat wieder. Glückselig legte sie ihren Arm um seinen Nacken und barg ihren Kopf an seiner Schulter. „Willkommen auf Schönburg!" Dann führte sie ihn zu einer Ruhebank: „Wie geht es dem Vater?" „Gut; er läßt Dich grüßen und Dir sagen, Du sollst sein und der Wartburg nicht vergessen!" „Wie werd' ich das? Aber nun will ich den Vogt rufen lassen!" Der Junker schaute verwundert auf: „Was willst Du mit dem jetzt!" „Er wird Sorge tragen für Deine Bewirthung — und ich bin gewöhnt, ihm von allem Mittheilung zu machen, was geschieht; er muß doch wissen, daß Du angekommen!" und bevor es dem Junker möglich gewesen, Antwort zu geben, hatte sie schon ihre Kammerzofe angewiesen, Engelbrecht zu holen. Eine Minute später trat der Gerufene ein. Der Junker hatte schon von seinem Ohm gehört,woher ihn dieserbezogen, darum hatte er sich eine Vorstellung gemacht, mit gebeugtem Nacken, ins Knie sinkendem Gang,leiserStimme und frommemAugen- aufschlag — wie sehr war er daher erstaunt, Eugelbrecht so zu finden, wie dieser eben war. Mit ritterlichem Gebühren war der Vogt eingetreten, mit freiem Anstand hatte er sich verneigt: „Die Herrin wird sehr fröhlich sein, ob so nah' befreundetem Besuch!" Clarisfa aber ergriff die Hände der Männer: „Ja, ich freue mich recht von Herzen. Aber auch Ihr sollt Freude haben aneinander, und ich sag' Euch Vogt, daß Ihr mir ihn gut pfleget, denn er ist ein gar treuer, trauter Gesell und mir lieb, wie ein Bruder!" Da ahnte Eugelbrecht, daß der Junker, der so lustig und keck vor ihm stand, seiner Herrin dereinst wohl noch mehr als Vetter und Bruder werden sollte, und daß auch für ihn die blaue Feldbinde gestickt worden war. Vielleicht waren

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