Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

10 11 Verwundert schaute er sie an: „Warum nicht?" „Weil Ihr Euch heute noch schonen sollet, weil ich es will!" „Aber Herrin, die frische Luft wird mir gut thun und der Frevel ist schon vor zwei Tagen geschehen. Lassen wir's länger anstehen, wird es die Frechheit des Mannes vergrößern." Sie war aufgestanden: „Ich aber dulde es nicht! Morgen ist auch ein Tag, da möget Ihr thun nach Eurem Gefallen; jetzt müsset Ihr Euch in meinen Willen sügen. Eure Arbeit für heute ist zu Ende. Aber gehet hinaus in den Burggarten oder auf den Hofsöller und genießet den fröhlichen Sonnenschein und die würzige Luft; und höret, daß Ihr mir keinen Widerspruch waget, es ist so mein ausdrücklicher Wille, mein unumstößlicher Befehl!" So hart die Worte klangen, so verstand er doch ihren wohlgemeinten Sinn. Gerührt beugte er sich über ihre Hand: „Ich dank' Euch, Herrin, für Eure Sorge um mein Wohlbefinden; wenn ich Euren Anordnungen auch nicht beipflichten kann, da ich sie für überflüssig erachte, so füge ich mich doch selbstredend Euren Wünschen., Ganz pflichtschuldigst werde ich mich in den Baumanger setzen und mit den Aepfel-und Birnbäumen vertrauliche Zwiesprache halten und wenn sie mich verwundert anschauen und ihre grünen Häupter schütteln und fragen: „Was willst Du, seltsamer Gesell?" dann werde ich ihnen antworten: „Die Herrin hat mich hergesandt und mein Herz ist so voll von ihrer, Milde, daß es mangels klügerer Gesellschaft Euch erzählen muß, wie gut uud treu sie ist." Dann neigte er sich und ging. Drunten aber warf er sich im kühlen Baumschatten der Länge nach ins Gras. Sie hat doch recht gehabt, das Stilleliegen thut mir doch wohl, so wohl! Wenn ich mir's auch selber nicht eingestehen wollte. Sie hat doch recht gehabt wie immer und in Allein! Und er schob sich behaglich den Arm unter den Kopf und die Vögel sangen von den Bäumen, die Mücken tanzten um ihn, eine Eidechse, die am Burggemäuer lief, richtete ihre kleinen klugen Aeuglein nach ihm, die Saale rauschte leise aus der Tiefe — er aber hörte und sah nichts — der Schlummer hatte ihn mit sanften Armen umfangen uud ihn hinüber geleitet ins Reich der Träume. Selbst die Glocke zum Mittagsmahl verklang ungehört an seinem Ohr. Clarissa ließ ihn nicht wecken. Essen und Trinken mag er nachholen, wenn er erwacht, der Schlaf wird ihm wohler thun, als alles andere! Erst als gegen Abend die Schatten lang zu werden begannen, fuhr Engel- brecht empor. Einen Augenblick wußte er sich gar nicht in seine Lage zu finden. Wie er sich endlich erinnerte, daß er am Morgen hier eingeschlafen, sprang er auf. Was wird nur die Herrin denken von solch einem Faulpelz? Am Thorweg begegnete er ihr. Sie lachte vergnügt: „Hat Euch der Hunger aufgetrieben? Aber kommt nur mit mir, ich will Euch speisen und tränken und Ihr sollet beim Abendmahl einbringen, was Ihr am Mittag versäumt." Als er ihr dann in der Halle gegen- übersaß, winkte sie dem Kammerknecht: „Bring heute den alten Burgunder, der im Keller liegt, wir haben ihn noch nicht gekostet und müssen doch wissen, was für Saft unsere Fässer bergen." Engelbrecht wußte, daß sie den stärkeren Wein um seinetwillen forderte, aber daß sie es that in einer Weise, daß er nicht zu danken brauchte, das that ihm wohl. Dennoch war er einsilbiger als sonst. Ein gleichgiltig Gespräch wollte ihm nicht aus der Kehle, und dem, was all sein Herz erfüllte, durfte er doch keinen Ausdruck verleihen. Clarissa verstand ihn und er gefiel ihr nur um so besser Ihr, die am Hofe erzogen war, fiel es nicht schwer, ein Gesprächsthema anzuschlagen, das, geschickt alles Anzügliche meidend, doch unterhielt und über die lange Zeit des Abends hinweghalf; dabei schob sie ihm fleißig den Weinkrug zu: „die Sorte macht fröhlich und duftet süß, wie junge Wildrosen, die im Haine blüh'n." „Liebet Ihr die Wildrosen, Herrin?" „O über alles! Zumal die hellen, die wie die Morgenröthe aus den grünen Kelchen hervorbrechen. Wie liebe, kleine Schwestern sind sie mir, die mir freundlich zuwinken und grüßen." Und dann erhob sie sich: „Ich denke, es ist spät; wir wollen das Lager suchen. Gute Nacht, Vogt!" Eugelbrecht ging auf sein Thurmgemach wie ein Träumender. So herzlich war sie noch nie zu ihm gewesen. Aber dann wieder fiel ihm der Standesunterschied ein, der sie beide von einander trennte, und der scharfe Zug um seine Lippen vertiefte sich mehr denn je. „Engelbrecht," sagte er zu sich selber, „Du bist wahnwitzig," aber überrascht Prallte er zurück, da er die Thüre seines Gelasses aufschlug. War denn dies überhaupt seine Stube? Wo bisher uur die nothdürftigsten Geräthschaften gestanden, war jetzt eine behagliche Einrichtung aufgestellt. Bimt gewirkte Vorhänge an den Wänden, dicke Thierfelle am Boden, behagliche Sitzplätze und Ruhebänke, geschnitzte Tische, Spinde und Truhen und eine Lagerstelle, breit und weich, mit feinstem Linnen überzogen. Ihm war zu Muthe, wie in einem Märchen, doch ließ er sich's gefallen. Er warf sich aufs Bett. Es war so wunderbar. Hätte ihn Einer „Herr Kaiser" angeredet, er hätt's auch hingenommen. So entschlief er. Andern Morgens, da die Sonne sich eben erst am Horizont hob, entschritt Engelbrecht eilig der Burg. Eine halbe Stunde später stand er im dichten Buschwerk nächst dem Flußbett der Saale und schnitt mit seinem Waidmesser wilde Rosen zu einem großen Strauß. Zur gewohnten Stunde aber trat er zum Morgenbericht vor die Gebieterin. „Vor Allein, Herrin, habe ich Euch zu danken." Er stockte. „Ihr, was?" frug sie fröhlich. . „Für die prächtige Verschönerung meiner Kemenate!" „Ich hätte längst dran denken sollen, aber ich wußte nicht, daß Ihr nicht selber besser für Euch gesorgt!" „Mir war's auch so gut genug gewesen. Doch wie erführet Jhr's jetzt?" Eine dunkle Röthe schoß in ihre WangeN: „Weil ich selbst bei Euch gewesen, als Ihr. krank läget," sagte sie leise. Engelbrecht fuhr zurück; aber er faßte sich schnell. Es war ja Thorheit, unsinnige Thorheit, was ihm so heiß vom Herzen zum Hirn fluthete. Wie ein Heiligenbild stand sie wieder vor ihm und wie vor einem solchen beugte er das Kuie; die Worte versagten ihm, aber flehend hielt er ihr den Strauß wilder Rosen, den er bisher hinterm Rücken versteckt gehalten, entgegen. Gerührt schaute sie auf ihn, dann fuhr sie saust über sein Haar, wie damals im Stiftsgarten zu Schulpfordta. „Ein anmuthigeres Geschenk hättet Ihr mir nicht bringen können. Aber steht auf, Engelbrecht, wir wollen zu unserer Tagesarbeit schreiten." „Ja, Herrin!" Es klang gepreßt. Einen Augenblick später aber stand er schon in seiner ganzen Höhe, kühl und verschlossen wie immer, und besonnen und gesammelt begann er seinen Vortrag. So öffnet sich goldenem Sonnenstrahl die Knospe, aber wenn das lichtspendende Gestirn sich zur Rüste neigt, falten die halbverschloffenen Blumenblätter sich wieder zusammen. Wird die Sonne wieder drüber aufgehen? Wird die Blüthe zur völligen Entwicklung kommen?------------------------------------------------ In gleichmäßigem Gang schwanden die Tage. Engelbrecht hatte sich auffällig schnell in feine Aufgabe gefunden. Die Knechte und Hörigen liebten ihn, denn war er auch streng, so blieb er doch immer gerecht. Mit den umwohnenden Edlen aber hatte er sich ob seiner höheren Bildung bald anf guten Fuß gesetzt.

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