8 Wegherberge sich verweilen, den Vor- überzug des bösen Wetters abwarten mögen; allein der Gedanke, daß das Dach des Herrenhauses, das an verschiedenen Stellen schadhaft gewesen, gerade am heutigen Tag zum Zweck der Ausbesseruug wenigstens theilweise abgedeckt worden, trieb ihn zu möglichster Beschleunigung , seiner Heimkehr. Er kannte die Lässigkeit der Arbeiter, wer weiß, ob sie fertig geworden? Und wenn nicht, welche Vorsorge sie getroffen, das Eindringen des Regens zu verhindern. Darum spornte er sein Roß zu äußerster Eile. Das Gewitter aber war schneller als er, und er mochte wohl noch eine halbe Stunde von der Schönburg entfernt sein, da es mit furchtbarer Gewalt loszubrechen begann. Blitz folgte auf Blitz, Donner auf Donner, und dazu prasselte der Regen wolkenbruchartig und der Sturm peitschte übers Land. Das Pferd, erschreckt durch die Angewohnheit solcher Naturerscheinung, raste wie toll dahin, kaum konnte die eiserne Faust des Reiters es auf dem richtigen Weg erhalten. So kam Engelbrecht verhältnißmäßig schnell auf der Schönburg au, aber bis auf die Haut hinein war er trotzdem durchnäßt. Doch nahm er sich nicht Zeit, die Kleider zu wechseln, bevor er sich nicht davon überzeugt, daß die Dachung fertig gebessert. Der Wind, der eisig über die Hagelfelder blies, pfiff ihm durch die Kleider, die Haare klebten ihm an den Schläfen, wie Einem, der aus dem Wasser gezogen worden. Er achtete deß nicht. Erst da er alles in Ordnung befunden, dachte er an sich. Wie er sich am nächsten Morgen vom Lager erheben wollte, versagten ihm die Glieder schier den Dienst. Der Kopf schmerzte ihn, Fieberschauer rieselte ihm den Rücken hinab. Dennoch zwang er sich und schritt zum gewohnten Vortrag zur Herrin hinunter. Freundlich, wie sonst, erwiderte sie seinen Morgengruß. Plötzlich aber stutzte sie an der Blässe seiner Wangen: „Was ist Euch?" frug sie besorgt. Er lächelte mühsam: „Es ist uicht der Beachtung werth!" „Doch, doch!" entgegnete sie hastig. „Ihr seid krank!" „Es wird bald vorübergehen," wollte er sagen, aber noch bevor er's zu Eude gebracht, zwang ihn ein Schwindel, an dem vorspringenden Mauerpfeiler Stütze und Halt zu suchen. Da sprang Clarissa zur Thüre und rief ihre Zofe und den Kammerknecht, der im Vorsaal saß, und hieß sie den Vogt hinaufbringen in sein Gelaß und ihn pflegen. Engelbrecht ließ Alles mit sich geschehen. Die Heftigkeit des Fiebers hatte seinen Widerstand gebrochen. Eines nur that ihm "wohl, bei allem körperlichen Unbehagen, der ängstlich besorgte Ausdruck ihres lieben, süßen Kindergesichtes. Der eilig herbeigerufene Kaplan, der auch der Heilkunst zur Noth kundig war, fand ihn mit glühendem Kopf, schier völlig bewußtlos. Er sprach den Heilsegen über ihn und verordnete ihm Mixturen und Getränke von unglaublicher Menge und Beschaffenheit, und verfügte sich schließlich zur Herrin, ihr das Resultat seiner Beobachtung mitzutheilen. „Es ist eine heftige Erkältung mit nachfolgender Rebellion des Geblütes, so man Fieber nennt, was für ein Anfall zuweilen tödtlich verlaufen, zuweilen mit wochenlangem Siechbett überwunden werden kann." Clarissa rang die Hände. „Aber das ist schrecklich!" „Womit durchaus nicht gesagt sein soll," fuhr der alte Herr gelassen fort, „daß Anwendung der richtigen Mittel und heilsamen Sprüche solche Krankheit allzuweilen auch früher auszutreiben vermag." „Und glaubet Ihr, daß in diesem Fall Eure Kunst —?" Der Kaplan zuckte mit der Achsel. „Es ist Alles im göttlichen Willen beschlossen. Mein Wissen ist nur Stückwerk." So ging er. Clarissa aber sank ins Knie: „Herr Gott, wenn Du ihn mir nehmen wolltest, ich könnte nimmer an Deine Gerechtigkeit glauben!" — Langsam und trübe schlich der Tag hinüber. Gegen Abend hielt Clarissa die Ungewißheit nimmer aus. Ich will mich selber überzeugen, wie es um ihn steht, sagte sie zu sich und schritt nach seinem Thurm hinüber. Seit des Vogtes Einzug in das Gemach hatte sie die Schwelle desselben nicht überschritten. Sie hatte es ihm überlassen, sich drinnen einzurichten. Nun erschrak sie an der Dürftigkeit der Ausrüstung. Am Fenster ein verblichener Behang, in der Mitte ein großer Tisch voll Pergament und Schreibgeräth, davor ein wurmstichiger Schemel und an der Wand die armselige Lagerstelle, darauf sie ihn gebettet hatten. Krampfhaft zog sich ihr das Herz zusammen; so hatte er gewohnt all die Zeit, und ihr war nicht einmal eingefallen, danach zu fragen. Leise, schier unhörbar, trat sie dem Kranken näher; die sie ihm zur Pflege zugeordnet, hatten ihn allein gelassen, schier ungebraucht stand die Medicin daneben. Aber seine gute Natur hatte auch vhue Anwendung anderer Mittel als der nöthigen Ruhe sich selber geholfen. Das Fieber hatte aufgehört.. In wohlthuendem Schlummer fand der Körper das gestörte Gleichgewicht wieder. Schwach aber gleichmäßig ging der Athem über seine blassen Lippen. Da wußte Clarissa, daß das Schwerste überstanden. Leise, wie sie gekommen, schlich sie sich wieder in ihre Kemenate. Dort aber warf sie sich ins Knie, wie am Morgen: „Verzeih, Himmelvater, wenn ich klein- müthig wider Dich gemurrt. Ich will Dir ja so dankbar sein für seine Rettung, so dankbar!" Am nächsten Morgen, als Clarissa sich eben nach Engelbrecht's Befinden erkundigen wollte, trat er selber bei ihr Zwar waren seine Wangen noch laß, aber seine Augen glänzten wieder 9 frisch und seine Bewegungen erschienen kräftig wie immer. Sie aber erschrak, da er so schnell vor sie trat; er, an den sie die letzten Stunden mit so bangen, innigen Gefühlen gedacht. Verwirrt schlug sie die Augen zu Boden, während sie ihm unwillkürlich die Hand hinreichte. „Engelbrecht, Engelbrecht! Ihr werdet Euch wieder krank machen." Der Ton klang noch weicher als sonst. Da lächelte der Vogt: „Meine Herrin, ich bin wieder völlig genesen und auch gar nicht gewillt, dem einen verlorenen Tag noch mehr solche folgen zu lassen. Darmn anch stehe ich hier und bitte Euch, meinen Bericht wie sonst entgegen zu nehmen." Clarissa fügte sich. „Ihr hättet Euch länger schonen sollen. Doch wenn Ihr selber so wollet!" und sie setzte sich auf ihren alten Platz in der Fensternische. Dann lud sie ihn mit einer Handbewe- gung ein, sich auf einen nahestehenden Lehnsessel niederzulassen. Er aber, der gewohnt war, seinen Vortrag immer stehend zn halten, wollte auch heute keine Ausnahme machen. „Ich danke Euch, Herrin, für die Aufmerksamkeit, aber ich kann meine Pflicht wieder thun ohne Rücksichtnahme!" Der herbe Zug lag schärfer als je um seine Lippen. Ihr that es weh, daß er sie nicht besser verstand: „Ich kann auch eigensinnig sein; ich befehle, daß Ihr Euch setzet." „Das ist. ein anderes, da muß ich mich wohl fügen!" dann begann er seinen Bericht. Die Sonne schien indessen wunderbar lockend in die Fenster, sie gab Clarissa's i Gedanken eine bestimmte Richtung. Und als Engelbrecht zuletzt die Absicht äußerte, zu einem Bauern, der auf herrschaftlichen! Grund und Boden widerrechtlich Holz gefällt, selber hinüberreiten zu wollen, trat sie ihm entschieden entgegen: „Nein, Herr Vogt, das werdet Ihr heute noch nicht thun."
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