2 3 Haupt sperren, naht heran. Zuvor aber hat Deine Mutter mich gebeten, Dich noch auf einige Tage zu ihr zu entlassen. So magst Du denn den Wanderstab nehmen und auf drei Tage zu ihr gehen. Meinen Segen auch magst Du ihr bringen und meinen Gruß und ein paar Goldgülden, auf daß sie nicht darben muß, wenn Du kommst, ihr die Schüssel zu beschweren." Engelbrecht hatte verwundert den sonst so strengen Mann angestarrt; dann war er gegangen, sein bescheiden Bündel zu schnüren. Eine Stunde später hatte er das Thor Schulpfordtas verlassen und er konnte hinauswandern in die weite Welt, wie er so lange begehrt. Aber wiewohl ein einfältiger Verstand hätte glauben sollen, daß Engelbrecht nun glücklich, oder doch zum mindesteu fröhlich seiues Weges gewan- dert sei, so war dem doch nicht so. Freilich hatte es einen Augenblick heiß aufgezuckt in ihm. Drei Tage Freiheit? Aber dann war sein Blick auf seine Schülerkutte herabgeglitten. Schwer seufzend hatte er sich auf deu Weg gemacht. So schleppt der Galeerensträfling die Kette am Fuße mit sich, wohin er auch geführt wird. Und was Engelbrecht auch bislang selber nicht gewußt, ward ihm klar mit einemmal, uicht in die Ferne sehnte er sich — nur in die Freiheit. Was aber taugte ihm solche Erkenntniß kurz bevor er die Weihen erhielt? Darum waren seine Gedanken nicht srohgemuth, als er so seine Straße dahinzog, und auch in der Heimat kam ihm die alte Kinderfröhlichkeit nicht mehr zurück. Denn die Mutter neigte sich schier ehrerbietig vor ihrem Sohn, der ihr in dem langen Talar schon völlig als ein Geweihter des Herrn erscheinen mochte. Der Bruder hielt sich scheu vor ihm zurück, während das Schwesterlein ihn geradezu stoh. So kam es, daß er froh war, da der bewilligte Urlaub zu Ende und er wieder in feine alten Fesseln znrückkehren mußte. Den Morgen nach seiner Rückkunft ließ der Präpositus ihn zu sich bescheiden. „Du bist drei Tage draußen gewesen im freien Land, und die Rückkehr zwischen die engen Mauern mag Dir schwer sein. Darum habe ich bestimmt, daß Du vou den Andachtsstunden des heutigen Vormittags dispensirt seiest. Gehe vielmehr auf den Knabenberg und schaue, ob sich auf dem Vogelherd, den der Klosterschaffner droben aufgerichtet, keine Drosseln im Sprengel gefangen haben. Das wird Dir ein lustsam Geschäft sein und Dir helfen, leichter wieder einzu- gewöhnen." Der Präpositus war seit den letzten Tagen von einer nie dagewesenen Milde gegen den jungen Scholaren. Was mochte ihn dazu bewogen haben? Es war sonst nicht seine Art so. Vielleicht wollte er Jenen durch solch' Entgegenkommen nur noch fester an das Stift binden, vielleicht auch war es wirkliches Mitgefühl mit dem blasse» Jüngling. Genug, Engelbrecht beugte sich dankbar auf seine Hand und küßte sie, dann schritt er wohlgemuth dem angewiesenen Ziel entgegen. Durch den alten Buchenwald ging die Luft in erquickender Frische, auf deu Blumen und Gräsern lag noch der Frühthau; die scheuen Vögel flatterten fröhlich durchs Strauchwerk und neckten und wiegten sich mit lauten: Zuruf. Engelbrecht blieb stehen und sog die Luft mit Wohlbehagen ein. Wie schön es war in Wald und Feld! Warum sollte er sich dran nicht freuen? Was kümmert es ihn, wenn er auch iu wenig Wochen die Tonsur auss Haupt geschoren bekam? Sollte er sich darum an frischer Waldluft nicht ebenso erquicken, wie die Anderen. Unter solchen Gedanken war er langsam den Fußpfad emporgeklommen. Oft blieb er stehen, neigte sich zu den kleinen Grasblüthen hinab oder lauschte auf fernen Lerchenwirbel, der hoch über der Thalniedernng zu ihm hernieder scholl. So kam er zur Höhe, zum Vogelherd. Aber an den künstlich dort aufgestellten Leimruthen haftete nur eine Drossel. Die guten klugen Augen des Thierleins blickten erschreckt auf ihn, da er sich näherte. Ihm aber ging ein seltsamer Einfall durch den Sinn. Wie ein Bild seines eigenen Lebens wollte ihm das arme, geängstete Geflügel erscheinen; und ein anderer Gedanke kettete sich dran: Wenn Du dem zitternden Fe- dernträger die Freiheit rettest, wirst auch Du sie erlangen und wenn ein Wunder geschehen müßte. Und vorsichtig löste er die zierlichen Krallen des Vogels von dem anhaftenden Leim, streichelte ihm das kluge Köpflein und warf ihn in die Luft: „So flieg' hin! und sei ein andermal klüger!" Der aber schwang sich mit lebhaftem Flug aufwärts der Morgensonne entgegen. Bald entschwand er in der Ferne. Da rüstete sich Engelbrecht zum Abstieg. „Unsere Voreltern haben viel auf Vorzeichen in Wolken- und Vvgelflug gehalten, sei auch Du mir eine günstige Vorbedeutung." Langsam, Schritt für Schritt, ging er thalwärts. In der Felsgrotte, worin er so ost geruht, ließ er sich auch jetzt zu kurzer Rast nieder. Aber kaum daß er sich gesetzt, klangen von oben herab lebhafte Stimmen, und eine, die einem weiblichen Wesen anzugehören schien, vor Allem, scholl ihm ins Ohr: „Kommet nur mir nach, Stallmeister, es wird den Kopf nicht kosten. Es heißt im Sprichwort: es führen alle Wege nach Rom. Bei uns hier, denk' ich, führen sie alle ins Kloster hinab!" Es war lachend gesprochen, wie Rieseln eines Silberquelles. Nun erwiderte eine Männerstimme grämlichen Tones: „Ich aber sag'Euch, wir siud verirrt; die ganze Höhe müssen wir wieder hinauf klimmen, bevor wir auf den rechten Pfad kommen. Ja, lachet nur, Herrin!" unterbrach er sich ärgerlich. „Lachet nur! Ihr werdet schon sehen, daß Euer erlauchter Vater iu Schul- pfordta angelangt ist, lange bevor wir d:e richtige Straße wiedergefunden!" Jetzt mußten die beiden Streitenden vor dem Eingang erscheinen, denn dicht davor fuhr die Männerstimme fort: „Keinen Schritt geh' ich Euch weiter!" Und da traten sie auch schou in den Rahmen des Höhleneivganges: ein Mann in schlichtem Dienerkleid und ein Jung- fräulein, hold und licht und hoheitsvoll, wie der goldene Morgenstrahl, der Hellen Schimmer in ihren weißen Schleier wob. Sie war zum Herrschen geboren, man sah es auf den ersten Blick, wiewohl der Ausdruck ihrer Züge Milde und Wohlwollen verrieth. Auch ihr Gewand, mit Hermelin verbrämt, wies ihre fürstliche Herkunft. Engelbrecht fuhr empor von seinem Steinsitz. Wie ein lieblich Wunder stand das Alles vor seinem Aug'. Worte fand er nicht, seine Ehrfurcht auszudrücken, demüthig huldigend nur beugte er sein Knie zum Gruß. Sie aber lächelte vergnüglich auf ihn nieder, als sei sie solches von je gewöhnt: „Geht hier der Weg nach Schulpfordta hinunter?" „Ja," entgegnete er lebhaft, „und wenn's Euch genehm ist, so will ich Euch führen." „Gewiß ist's mir recht," entgegnete sie fröhlich, dann glitt ihr Blick über seine hochgewachsene, schlanke Gestalt und sein eigenartig Antlitz, das dunkle Haar, das sich über weißer Stirne hoch aufbeugte, die lange, gerade Nase, die träumerischen Augen, die schmalen Wangen und der fest zusammengepreßte Mund mit dem entsagungsvollen Zug darum, und über sein dunkles Schülerkleid — und sie schien ihn zu begreife». „Ihr seid wohl Einer von drunten?" und sie deutete thalwärts, in der Richtung der Klostersiedlung. Engelbrecht bejahte. „Die Schulstube hab' ich hinter mir seit Kurzem, nun stehen mir die Weihen bevor." Ohne daß er daran, dachte, seufzte er. Sie aber las in seiner Seele und beschloß, ihn um seine näheren Schicksale auszuforschen; denn ein ihr selber unerklärliches Interesse an den: jungen 1*
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