Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

94 Der Messe wohnten der Kaiser,-die Kaiserin, die Großfürsten und Großfürstinnen bei. An demselben Tage besuchte das Kaiserpaar in Begleitung des Moskauer Generalgouverneurs Großfürst Shergej Alexandrowit-sch und dessen Gemahlin Großfürstin Jelissaweta Feo- dorowna das hiesige Storo-Jekaterinüksche Spital, in welchem sich die meisten der am 18. d. M. verletzten Personen befinden. Das Kaiserpaar erkundigte sich um das Befinden eines jeden Verletzten und sprach jedem derselben Ariihjof Nansen, der Nordpotfahrer. Trost zu. — Nachmittags fand auf dem dortigen FriedhofeWaganjkowskojeKladbitschtsche die Bestattung der auf dem Chodynskoje Polje erdrückten Personen in .der feierlichsten Weise statt, wobei die Glocken auf allen 400 Kirchthürmen .geläutet wurden. Die Entdeckung des Wordpots? Dr. Frithjof Nansen heißt der Mann, derben Nordpol, den bisher unerforschten nördlichsten Punkt der Weltachse, entdeckt haben soll. -Noch ist die Nachricht nicht bestätigt, noch fehlt jede Kunde vom hohen Norden, doch wenn es wahr ist, dann kehrt Nansen als ein Cotumbus des Nordens in seine norwegische Heimat zurück. Am 24. Juni 1893 verließ Nansen's Schiff „Franz" die Bai von Christiania; das Schiff ist so gebaut, daß es dem Andrängen des Treibeises erfolgreich Widerstand leisten kann. Nansen nahm Proviant für fünf Jahre mit, berechnete jedoch die Dauer der Expedition auf zwei Jahre. In seiner Gesellschaft befinden sich Capitän Sverdrup, sodann die Officiere Hjalmar, Hannsen und der Arzt Blessing. Die Nachricht voir der Entdeckung des Nordpols langte int Februar hier ein; jede officielle Bestätigung fehlt aber bisher unb es scheint daher sehr zweifelhaft, ob der kühne Nordpolfahrer wirklich jenen Punkt erreicht hak, wo sich die Magnet- nadel in einen Winkel voll 90 Graden stellt. Aer Untergang des Schiffes „Zrnm- mond Kastte", Eine furchtbare Katastrophe füllt in die letzten Tage des Monates Juni. Das Schiff „Drummond Castte" ist bei Quessant mit ungefähr 300 Menschen untergegangen. Gerettet wurde ein Einziger, namens Marquard, und berichten wir nach dessen Erzählung über die gräßliche Katastrophe Folgendes: „Marquard, der gerettete Passagier, ist ein sonnverbrannter, glattrasirter, junger Mann von ungefähr dreißig Jahren, und so wohlgenährt, daß es dem Zuhörer seines Berichtes begreiflich erscheint, daß gerade er das mehr als zehnstündige Umhertreiben in der falten Meeresfluth besser überstand, als mancher Andere. Der Gerettete ging vor zwei Jahren nach Südafrika und trat als Buchhalter in Johannesburg in bas Haus Gebrüder Eckstein. Infolge der unruhigen Ereignisse erfüllten sich seine Hoffnungen auf baldiges Vorrücken nicht lmd er hatte sich kurz entschlossen, wieder heimzukehren. Schon auf der Reise nach Afrika wäre Marquard nahezu schiffbrüchig geworden, denn der Dampfer, auf dem er die Reise luachte, gerieth ill Brand, glücklicherweise unfern oer Küste von Teneriffa, wo die Reisenden gelandet, das Feuer gelöscht und der Schaden ausgebessert wurde. Dann hatte er in Transvaal die Zeit des Sturmes und Dranges durchlebt, die große Dynamit-Explosion gesehen lind zuletzt auf dem „Drummond Castle" eine im Ganzen angenehme ereignißlose Ueberfahrt gehabt, bis zum lebten Tage, wo gewöhnlich die Reisenden so eifrig wie die Schiffsofficiere nach dem Leuchtfeuer von Quessant Ausguck halten. Es scheint, daß diesmal jedoch die kleine Aufregung lvegen der bevorstehenden letzten Abendunterhaltung das Interesse für den Leuchtthurm überwvg. Nach- mittags war das Wetter, wie häufig in der Nähe der bretonischen Küste, trübe geworden, und gegen Abend wurde es nebelig mit feinem Strichregen, doch war die Atmosphäre keineswegs so dick, daß man nicht von einem Ende des Schiffes bis zunl anderen sehen konnte. Um halb 6 Uhr, so erzählt Marquard, gerade als ich zürn Essen hinunterging, wurde zum erstenmale während der ganzen Reise das Nebelhorn vernehmlich, und es heulte dann weiter in Zwischenräumen von etwa einer Minute. Der Capitän war nicht bei Tische und wir kamen gegen Z>8 Uhr wieder auf Deck, um einen Spaziergang zu machen, ehe die Abenduuterhaltung anfing, die aus Concert und lebenden Bildern bestand. Dann begaben wir uns ins Rauchzimmer, wo etwa ein halbes Dutzend-Leute saßen, darunter ein 95 Steuermann von der Kriegsstotte, der eine Anzahl ausgedienter Mannschaften von der Cap- station zurückführte. Der Mann hieß Motyer. Ich plauderte mit ihm und er sagte gerade: Wenn ein Schiff sich im Nebel befindet, lege ich mich nie zu Bette, da lief der Dampfer auf und Motyer rief: Das ist ein Zusammenstoß’ Es war ein langer gleitender Stoß, gerade als wenn ein Flußdampfer an die Landungsbrücke anstreift. Motyer und ich waren die nächsten an der Thüre und auch die ersten draußen. Wir liefen das Deck entlang unter der Commando- brücke durch und blickten nach vorne. Es war stockfinster und nichts zu sehen. Die Maschinen stockten und ich hörte die Klingel zwischen Maschine und Maschinenraum. Einige Leute waren inzwischen auf Deck gekommen, aber von stürzender Hast war keine Rede. Motyer fragte: Neigt das Schiff nicht nach vorne? und ich bemerkte in der That, daß das Vordertheil sich senkte und dem Wasser näherte. So.lief ich denn eilig meiner Cabine zu. Von Commandorufen habe ich nichts gehört, aber ich bemerkte, als ich das Deck entlang eilte, daß die Matrosen den Ueberzug von einem der Boote entfernten. Ich glaube, sie schnitten die Leinen durch. Ich dachte an nichts Schlimmeres, als daß ich etwa die Nacht im Boote zubringen müsse, so zog ich in der Cajüte schnell einen leichten Ueberzieher an. Darüber fiel mir ein, es sei wohl am besten, .den Nettungsgürtel anzulegen, der über meinem Lager hing. Ich schlüpfte hinein und band ihn mit einem der Stricke fest. Mittlerweile hatte sich das Deck so stark nach vorne geneigt, daß ich mich kaum aufrecht erhalten konnte. Ob viele Leute auf Deck waren, kann ich nicht sagen. Die elektrische Beleuchtung war erloschen und es war Pechfinstere Nacht um mich. Die Erschütterung des Auslaufens war nicht sonderlich heftig gewesen und Mancher war vielleicht gar nicht aus deul ersten Schlafe geweckt worden. Am Vordertheil war natürlich der Stoß am stärksten fühlbar gewesen. Ich sah ein Boot Hinausschwingen und wie das Schiff sank, kam dieses Boot ins Wasser, aber es war nicht von der Leine frei und stürzte um. Das Nächste, was ich wahrnahm, war, daß ich mich im Wasser befand. Das Schiff schien unter mir zu verschwinden und ich stieß mich ab, zuerst vom Geländer und dann von den

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