Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

74 75 Das eigentliche Gebiet dieses 'Handelsministers ist demgemäß die Handelspolitik, immerhin hat er sich auch als langjähriger Referent des Ministeriums des Aeußern mit allemwirthschaftlichen Fragen vertraut. Ackerbauminister Gr,af Ledebur ist der Sohn eines böhmischen Gxoßgrundbesitzers, er war viele Jahre Mitglied des böhmischen Landesculturrathes und erwarb sich in der Verwaltung der väterlichen Güter reiche landwirthschaftliche Kenntnisse. Graf Ledebur galt in gewissen.Kreisen als Anhänger der clericalen Partei, fand aber Kisenöahnminister Emil Witter von Huttenöerg. zu wiederholten Malen im Abgeordnetenhause Gelegenheit, seine Zusammengehörigkeit zum Ministerium Badeni in allen Fragen zu bekunden. Justizminister Graf Gleispach. Ein schneidiger Redner, der der Opposition im Gemeinde- rath das Wort „Patriotismus auf Kündigung" entgegenschleuderte und deshalb vielfach ange- feindet wird, der nunmehrige Justizmiuister, stand in Graz an der Spitze des Oberlandesgerichtes und gilt als großer Fachmann im Justizwesen. Unterrichtsminister Dr.Freiherr v.Gautsch. Ein alter Bekannter, ' dessen Nominirung für die Stelle des Cultus- und Unterrichtsmiuisters überall mit besonderer Genugthuung begrüßt wurde. Dr. v. Gautsch hatte bereits im Jahre 1886 unter der Aera Taaffe dieses Portefeuille inne, der Minister war damals 34 Jahre alt, der jüngste Minister, den Oesterreich jemals hatte. Baron v. Gautsch ist gleichzeitig Ober- curator der Theresianischen Akademie. FML. Emil Ritter v. Guttenberg — EisenbahnministerL Aus den: Machtbereiche des Handelsministeriums wurde das Communica- tionswesen ausgeschieden und unter die Aegide eines besonderen Ministeriums gestellt. FML. v. Guttenberg ist der erste Eisenbahnminister in Oesterreich. Vorderhand ist nun das EisenbahnWesen aus dem Wirkungskreise des Handelsministeriums abgesondert, aber es unterliegt keinem Zweifel, daß auch Post und Telegraph dem Communicationsminister in nicht allzu ferner Zeit untergeordnet werden. Allgemein fällt es auf, daß für das'Eisenbahnministerium ein hoher Militär aus dem Kriegsministerium berufen wurde; das hat in erster Linie seinen Grund darin, daß FML. R. v. Guttenberg in diesem Ressort seit langen Jahren arbeitet und als Fachmann pur excellence gilt, und daß in zweiter Linie für den Kriegsfall die Wichtigkeit eines militärischen Eisenbahnministers gewiß nicht zu unterschätzen ist. FML. Ritter v. Guttenberg ist der indirecte Nachfolger seines nunmehrigen MinisterDr. Karl «Lueger. collegen v. Bilinski, der vormals Präsident der Generaldirection der österreichischen Staats-- bahnen war. Der Minister für Galizien, Dr. Eduard Rittner. Eine vom provisorischen Ministerium her bekannte Persönlichkeit. Damals hatte Dr. Rittner die Agenden des Unterrichtsministers. Dem jetzigen Ministerium gehört er als Minister ohne Portefeuille an. Dr. Rittner erfreut sich auch in Gelehrtenkreisen des besten Rufes. Sein hervorragendstes Werk: „Das österreichische Eherecht," kennzeichnet ihn als einen Juristen allerersten Ranges. Dr. Rittner ist Mitglied der Akademien der Wissenschaften in Prag und Krakau. * * Nach langem, verderblichen Streit hat endlich das bürgermeisterliche Interregnum seiu Ende gefunden. Dreimal ist Dr. Lueger zum Bürgermeister gewählt worden und dreimal wurde ihm die kaiserliche Bestätigung versagt. Nachdem der Wahlkampf in den Monaten September und März gewüthet hatte, erfolgte im Monat Mai 1896 die Entscheidung. Der Kaiser ließ den gewühlten Bürgermeister Dr. Karl Lueger zu sich in Audienz befehlen und theilte ihm mit, daß es dermalen unmöglich sei, ihn zu bestätigen. Es sei der Wunsch des Kaisers, daß Dr. Lueger die Wiederwahl äblehne. Er fügte sich selbstredend dem kaiserlichen Willen und nominirte nach Parteibeschluß den Gemeinderath Josef Strobach als Candidaten für den curulischen Stuhl. Am Wahltage wurde Herr Strobach auch mit allen Stimmen der anti- semitischen Gemeinderäthe zum Bürgermeister gewählt, hierauf erfo lgte die Wahl des Dr. Karl Lueger ' zum ersten Vice-, die des Herrn Neu mayer zum zweiten Vice-Bürgermeister. Damit scheint die Aera Friebeis im Rathhause vorläufig erledigt, die Antiliberalen siud die Herren des Feldes und jetzt werden sie wohl zeigen, inwiefern sie daran denken, die goldenen Berge, die sie ihren Wühlern versprochen haben, wahr zu machen. Der scheidende Bezirkshauptmann wurde vom Kaiser zum Statthaltereirathe ernannt. — An ein Compromiß der liberalen Partei mit den Antiliberalen ist unter keinen Umstünden zu denken; schon die Stadtrathswahlen führten zu Mißhelligkeiten, die so erledigt wurden, daß die Antiliberalen sämmtliche 22 Stadtrathsstellen für sich behielten. * u * * In Ungarn hat man im verflossenen Halbjahre für Politik wenig Zeit gehabt, Baron Banffy hat nach wie vor das Vertrauen seines Königs und lüßt sich in seinen Pflichten selbst , Aases Stroöach.

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