Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

64 . Nun heischt der Arzt die größte Ruhe und Pflege, Niemand darf zum Kranken als auf inständiges Bitten hin die Braut. Gegen Mittag fährt ein Wagen am Forsthaus vor, ein betagter Herr mit einer ehrwürdigen Matrone frägt nach dem Forstgehilfen Allmeyer. Schonend gibt der herbeigerülene Forstmeister den Eltern seines Gehilfen Mittheilung von dem Unglück. Welch' grausames Schicksal! Welch' ein Wiedersehen! Zur Brautschau wollten die Eltern kommen und nun liegt der geliebte Sohn todeswund drinnen und der Arzt verbietet energisch selbst den Eltern den Eintritt Des Försters Tochter wird leise herausgerufen, die Eltern des. Bräutigams zu begrüßen. Ach welch' ein Jammer! Weinend umarmt die Mutter die abgehärmte Braut. Der Förster von Taubensee ist auch herübergekommen und begrüßt schmerz- bewegt die hartgeprüften Eltern. Wie hatten Alle sich auf diesen Tag gefreut! Und wie traurig hat er sich gestaltet! Der Forstmeister meint, man solle nicht verzagen, der Hubert ist jung und mit Gottes Hilfe wird er schon durchkommen. Allezeit gefällig und von der Gattin speciell beauftragt, ladet er die Eltern seines Gehilfen ein, im Forsthause Quartier zu nehmen und hier zu warten, bis die zu erhoffende Besserung eintritt. Mutter und Braut lösen sich ab in der Pflege des Theuren, bis die größte Gefahr überwunden ist. * * * Wochen sind vergangen. Die Väter sind in herzlichen Verkehr getreten mit dem Forstmeister als Dritten im Bunde, die Försterin ist oft herüber gekommen, um ihrerseits Hilfe zu bringen und ihr Engerl zu unterstützen. Und, wie die Väter schloffen sich auch die Mütter aneinander, wie auch die Forstmeisterin das ganze Haus für die Gäste zur Verfügung stellte. Die kräftige Natnr des Kranken siegte endlich, der Arzt verkündet die Freudenbotschaft? Hubert ist gerettet! Nun darf auch 's Engerl wieder heim und Erholung thut dem abgehärmten und geschwächten Mädchen wahrlich Noth. Bleich sind die Wangen geworden vom vielen Nachtwachen und der schrecklichen Angst und Sorge. Im Thal ist der Frühwinter eingezogen, die stolzen Berge tragen schon die Schneehauben und bald wirbeln die ersten Flocken auch auf die erstorbenen Fluren herab. Von der Wartei zum Forsthans gehen täglich Boten hin und her und so lange das Wetter es ermöglicht, wandert 's Engerl mit Vater oder Mutter in die Ramsau zu Besuch. Und je grimmiger der Winter sich anläßt, desto frischer wird der Hubert, bis auch er an einem klaren Wintertag zum erstenmale in's Freie vor das Forst- haus gehen darf, die Sonne wieder zu begrüßen. Die große Noth- in der Taglöhner- hütte nach Nazl's Verhaftung linderte in echt christlicher Nächstenliebe 's Engerl nach Kräften. Der Naz ist zu Zuchthausstrafe ver- urtheilt worden für seine Unthat, doch milderte seine Aufopferung für das Opfer in etwas die verdiente Strafe. Und wie Primeln und Glockenblumen )en Frühling einläuten und die Engerl- ilumen aus dem jungfräulichen Boden prießen, da ist auch der Herzensfrüh- ing gekommen für's Engerl. Jubelnd verkünden die Glocken der Ramsauer Kirche, daß ein glückliches Paar vereinigt ist mit dem Segen der Kirche und rohbewegter Eltern, sie läuten eine Lngerlhochzeit ein. Jahres -Wückfchau. Von Juli ^895 bis Juli 896. Die Illustrationen sind mit Bewilligung der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart zum Theil den großen Bildern der rllustrirten Zeitschrift „Ueber Land und Meer" nachqebildet. Kupfer-Niederschlage von den zahlreichen Illustrationen in „Ueber Land und Meer" werden von der Deutschen Verlagsanstalt zum Preise von 10 Pfg. pro Quadratmeter abgegeben. Für uns Kalendermacher gibt es kein Sylvester und kein Neujahr. Unser Jahr schließt mit dem Tage ab, da die „Rückschau" in Druck geht, und beginnt dort, wo wir im vorigen Jahre aufgehört haben. Es ist ein Jahres-Rück- blick, trotzdem das Jahr 1896 noch nicht versunken ist und im Schoß der Zukunft noch viel Unerschlossenes, Unerforschliches liegt. Aber auch so, wie das Jahr vor uns liegt, birgt es reiches und interessantes Material dem Chronisten, und es soll unsere Aufgabe sein, die weittragendsten Ereignisse in Wort und Bild hier festzuhalten. Chronologisch sei hier in erster Linie der Ermordung Stambulow's gedacht, die im Juli des Jahres 1893 erfolgte, zil spät, um in die „Rückschau" ausgenommen zu werden. Die Augen der ge- sammten civilisirten Welt richteteten sich- damals nach Sophia, wo Stambulow, der treue Anhänger des Fürsten Ferdinand, der ärgste Gegner der russophilen Bestrebungen im Balkan, von Mörderhand fiel. In ungerechter Weise ging man so weit, den Fürsten von Bulgarien der Mitwissenschaft an dem furchtbaren Verbrechen zu zeihen. Davon kann selbstredend keine Rede sein, immerhin war das Benehmen der Krone dem ehemaligen Ministerpräsidenten gegenüber kein würdiges, und die Witwe des ermordeten Staatsmannes wollte von Versöhnung nichts wissen und refusirte den Kranz, den der Fürst an der Bahre des Ermordeten niederlegen ließ. Die Beziehungen des Dreibundes erlitten durch die Niederlagen, die Italien in Afrika zu verzeichnen hatte, einen'Stoß; anfangs schien es, als sei die Situation bedenklich, doch Deutschland wie Oesterreich-Ungarn erwiesen sich als edle Verbündete, die dem Freund seine Niederlage nicht noch schmerzlicher erscheinen lassen wollten. England, das durch die unliebsamen Raubzüge der Chartered-Compagnie int Transvaal in eine zweideutige Situation gerieth, konnte sich nur durch das staatsmännische Talent Lord Salisbury^s vor einer ernsten Krise in der türkisch-armenischen Frage bewahren. Zur Zeit, da diese Zeilen in Druck gehen, hat Albion in Aegypten Kämpfe zu bestehen und ist daran, die Derwische, die etwa nicht voll Sympathien für England und dessen Regierung sind, eines Besseren zu belehren. Deutschland hat im vergangenen Jähre neuerlich Schritte gethan, um die französischen Revanchegelüste zu befriedigen; die Pariser Mäler haben zwar,dem deutschen Salon ihre Werke vorenthalten, aber die Deutschen sind eine höfliche Nation und haben es an Courtoisie nicht fehlen lassen, als französische Spione an der el- sässischen Grenze gefangen genommen wurden. Dies bewog auch Frankreich, in einem ähnlichen Falle mit ähnlicher Höflichkeit Vorzugehen. Für Rußland bedeutet das letzte Halbjahr eine Freudenepoche, die selbst durch Katastrophen, wie die vom Chodinskyfeld, nicht beeinträchtigt werden kann. Es galt die feierliche Krönung und Salbung des Herrscherpaares in der Kathedrale im Kreml. In politischer Beziehung hat Kaiser Nikolaus bisher noch immer nichts gethan, um das Vertrauen und die Hoffnungen zu rechtfertigen, mit denen man seinem Regierungsantritt entgegensah. Ein blutiges Ereigniß vollzog sich in Persien; dort fiel Schah Naßr-ed-din unter der Mörderhand und sein ältester Sohn Mussafr-ed-din bestieg den Thron. Man spricht dem jungen Herrscher viel Thatkraft und Intelligenz zu; dies wird sich erweisen, wenn der junge Schah seine Weltreise antritt, die für das nächste Jahr erwartet wird. Es sei nun in großen Zügen der einzelnen Länder und ihrer Geschichte im abgelaufenen Jahre gedacht.

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