Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

44 Unaufhörlich donnern die Kanonen, knattern die Gewehre, im Hintergrund beleuchten brennende Gehöfte die Szenerie. Mitten im dichtesten Gewühl kämpf Leo von Wellheim. Seine Batterie ist die tapferste. Die braven Soldaten wanken und weichen auch dem härtesten Anprall des Feindes nicht. „Vorwärts!" komman- dirt Leo und sein Geschütz schlägt in den Feind, wie eine immer sich neu erzeugende Feuerschlange. „Vorwärts!" schon weichen die feindlichen Reihen, langsam erst, Schritt für Schritt. Wieder spendet Leo's Geschütz die alles verwüstenden Kartätschen — da gilt kein Halten mehr, schneller und schneller wird die Flucht der Franzosen, aber fliehend noch schießen und stechen sie nach allen Seiten, dem angegriffenen Igel gleich, der seinem Gegner die Stacheln weist. Im Laufschritt rücken die Bayern nach. Wieder knattern die Granaten drein. Dann ein lauter Jubelschrei: „Viktoria! Orleans ist unser!" Die Bayern stürmen in die Stadt. Alles ist todt darin, wie ausgestorben. Die Einwohner haben sich in die Keller geflüchtet. Die Fensterladen sind geschlossen. Aufathmend halten die Soldaten einen Augenblick still. Auch Leo, der vorhin bei der Verfolgung des Feindes, diesen thatsächlich, wie Emma einst im Uebermuth gefordert, mit dem Säbel zu Paaren getrieben, wischt sich den Schweiß und das aus einer leichten Kopfwunde rieselnde Blut aus der Stirn. Da öffnet sich ein schmaler Ladenspalt, ein kleiner Gewehrlauf wird sichtbar, und eine Chassepotkugel sucht mit leisem Knall ihr sicheres Ziel. Vor Leo's Augen tanzte es, wie tausend Irrlichter, dann wird es dunkel, unwillkürlich nach Halt suchend, greift er in die Luft. „Leb' wohl, Emma!" murmelt er noch mit verbleichenden Lippen — dann sinkt er dem hinter ihm stehenden Soldaten bewußtlos in den Arm. —--------------- Das Lazareth ist mit Verwundeten überfüllt. Die Schwestern des rothen Kreuzes eilen zwischen den zahlreichen Bayern hin und her, helfend, lindernd, tröstend. Auch Leo ist hier; sie haben ihn mit den Anderen hereingebracht. Noch ist er nicht zum Bewußtsein gekommen. Eben tritt der Regimentsarzt in den Saal, die Neuhinzugekommenen zu verbinden. „Was ist mit dem?" fragt er an Leos Bett. Die Schwester macht eine bedauernde Bewegung. „Er kommt wohl kaum mehr zu sich!" Nach längerer Untersuchung erklärt der Arzt endlich die Wunde für nicht unbedingt lebensgefährlich. „Aber es ist fast ein Wunder zu nennen!" meinte er, „daß die Kugel nicht das Herz getroffen hat. Sehen Sie! der junge Herr verdankt sein Leben lediglich diesem Muttergottesthaler!" und er zog die Geldmünze aus dem zerschossenen Waffenrock. „Die hat ihm das Dasein gerettet; hier ist das Projectil abgeglitten, man sieht's ganz deutlich! Schauen Sie nur, wie das Silber abgeplattet ist. Die Wunde zwischen den Rippen wird schneller heilen, als Sie jetzt glauben."-------------------------------------- In der traulichen Wohnstube des alten pensionirten Majors Heineck stand Lmma eben damit beschäftigt, ihrem Vater den Thee einzugießen. Ein wenig bleicher war sie als früher und in ihrem ganzen Wesen lag ein stiller Ernst, den man wnst an ihr nicht zu sehen gewöhnt war. Sie schien mit einem Male alle kindische Thorheit abgestreift zu haben, ohne von hrem Reiz einzubüßen. Im Gegentheil, ie war noch anmuthiger, frauenhafter geworden. Nur in ihren Augen lag etwas, oas nicht zu ihrer übrigen Ruhe paßte. Es war nicht Trauer um verlorenes Glück, nicht Herzeleid — dazu waren diese Augen zu jung — aber Angst, todesbange Erwartung. Sie konnte oft minutenlang in's Leere starren, als müßte sie auf eine Botschaft lauschen, eine traurige, schreckliche Botschaft. Besonders wenn die Nachrichten vom KriegsschauPlatz eintrafen, dann kam eine fast fieberhafte Erregung über sie, mit zitternden Händen durchblätterte sie die Vnlust- listen, und überflog die Namen. Zuweilen standen ihr Bekannte'darunter, aber ihre Blicke gingen gleichgiltig drüber hinweg. Auch ihrem Vater war ihre Veränderung aufgefallen, aber erließ sie ruhig gewähren. Auch heute saß er, sie beobachtend, in der Sophaccke, während er den Rauch seiner Cigarette zu feinen Ringeln blies. Emma war eben mit dem Einschenken fertig, als das Stubenmädchen die Zeitung hereinbrachte. Nun stellte sie den Theekessel so heftig auf das silberne Brett, daß die Tassen klirrten und griff hastig nach dem Blatt. „Nun, was steht Neues darin?" frug der alte Herr. „Es sind Viele gefallen!" erwiderte sie leise. „Aber Orleans ist wieder in deutschen Händen!" fügte sie nicht ohne Stolz hinzu. Der alte Major richtete sich auf: „Das hab' ich erwartet! — Sind bekannte Namen in der Verlustliste?" Sie schüttelte den Kopf und las weiter. Pötzlich zuckte sie zusammen. Aber sie faßte sich schnell und ihrem Vater das Blatt hingebcnd, sagte sie in möglichst gleichgiltig<mTon: „Lieutenant vonWell- heim steht unter den Verwundeten!" Dann schritt sie zu ihrem Nähtischchen und machte sich mit einer Stickerei zu schaffen. Aber sie konnte die passende Seide nicht finden und endlich verließ sie unter dem Vvrwand, diese zu suchen, das Zimmer. Sie mußte allein sein. Heineck sah ihr kopfschüttelnd nach. Da ist etwas nicht in der Ordnung; das Mädel war sonst so frisch und munter und jetzt läßt sie. den Kopf hängen. Das laugt nichts. Wenn der leidige Krieg vorbei ist, wird sie verheiratet. Sie mag wolltn oder nicht. Ich will ihr schon einen 'ussuchen, wenn sie das nicht am Ende ichon selbst besorgt hat. Na meinetwegen, mir soll's recht sein. Aber das eiserne Kreuz muß er haben, sonst wird nichts daraus!" 45 In der darauffolgenden Nacht lag Emma schlaflos auf ihrem Bette. Wie sollte sie auch schlafen, während er fern in Fiebert räumen erschauerte. Ein Lied, das er ihr einst mitgebracht, und das sie zusammen gesungen, ging ihr dnrch den Sinn. Da wurden ihre Gedanken ruhiger: „Wir gingen miteinander, 's war wohl der alte Psad, Und däucht mich doch so anders Mit Dir, mein Kamerad. Am Teiche, wo die Binsen Gedcih'n in kühler Ruh; Dort standen wir und schauten Dem gold'nen Sonn'strahl zu. Da plötzlich stand im Wasser Gemeinsam unser Bild, Auf blanker Spiegelfläche, Wie auf metall'ucm Schild. Und wie das Bild erglänzte, So licht, so klar, so rein — Da wußt' ich, daß wir Beide Einand' beschieden sein." Aber was hals's, daß sie einand' beschieden waren. Was half's? Doch es war nicht ihre Art, alten Liedern nachzu- träumen, und dabei die kostbare Gegenwart unthätig verstreichen zu lassen. Hatte er nicht für sie sein Leben in die Schanze geschlagen? War sie ihm nicht das Gleiche schuldig? Sollte sich das deutsche Mädchen des Mannes, der füt sie und ihr Vaterland kämpfte, nicht werth erweisen? Ein starker Entschluß wuchs in ihr empor. „Mit Gott, für König und Vaterland, mit Dir, mein Kamerad!"--------------------- Für Leo schwanden die Tage in trostloser Langsamkeit. Das Wundfieber hatte ziemlich nachgelassen, aber er konnte das Lager noch immer nicht verlassen. Eines Abends kündigte ihm die pflegende Schwester an. daß eine neue Abtheilung vom rothen Kreuz angekommen sei, da die bisherige Zahl der Pflegerinnen bei den täglich sich mehrenden Kranken nicht mehr ausreiche. Er, Leo, werde wahrscheinlich einer neuen zugeiheilt werden. Leo achtete kaum darauf. In der Nacht, als er einmal in unruhigem Halb-

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