Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

Z4 störrischen Trotz auf, zu dem Dich eitle Hoffnung verführt." Abwartend schwieg der Alte. „Vater, ich kann nicht! Noch kann ich es nicht!" stieß Helga nach einer Weile zitternd hervor. Dann ließ sie die Last von ihrem Arm, sie wärest vor dem Hause angelangt, auf den großen, breiten Stein herabgleiten, der vor dem Hause lag und zum Zerkleinern der getrockneten Fische diente. „Thörichtes Mädchen, Du baust noch auf seine Treue! Ist denn die Zeit nicht längst schon verstrichen? Hat er Dir nicht zum Abschied gesagt: .Helga, glaube an mich; bis die Sonne fünfmal das Eis im Fjorde schmolz, dann komme ich Dich zu holen und giebt die Welt nicht her, was ich von ihr fordere, dann bleibe ich bei Dir und werde ein Bauer, gleich meinen Vätern/ Trieben die Schollen nicht fünfmal zum Fjorde? Kam er? Bist Du unklug genug, seinem Spruch zuwider noch länger auf vergessene Schwüre zn bauen? O, Helga, schön und stolz nennen Dich die Männer dieser Insel, sei stolz, vergiß und werde des reichen Petur Weib!" „Vater, wie redest Du hart!" stieß Helga heiß hervor und rang die Hände. „Du stößest mich hinaus, weil das fremde Weib, das Du nach der Mutter in den ,bair' (Bauernhof) führtest, meine Nähe nicht leidet. Darum willst Du mich an den fremden Mann fortgeben!" Sie sank schluchzend in die Kniee und barg das Antlitz in den verschlungenen Händen. „Steh auf, Mädchen," seufzteGrnnur. „Dein Trotz macht mich elend, Du verscheuchst den Frieden meiner Schwelle. Was soll daraus werden, ich habe es der bondakona (Bäuerin) zusagen müssen, Dich noch heut dem Petur zu versprechen. Da drinnen harrt nun der Freier, den ihr Ruf herbeschied. Wieder soll ich ihn, wie einen Narren, ohne Bescheid aus meinem Hause schicken? Hast Du kein Erbarmen mit ihm, der Dich mit der Treue des Hundes liebt und Deine Gunst erbettelt?" „Vater, ich kann nicht!" schrie Helga qualvoll auf. „Laß mich noch warten. Bjarni kommt, bald kommt er! Ein tückisches Geschick nur hält ihn fern." „Eitle Verblendete! Monate sind über die festgesetzte Zeit verstrichen. Nie schrieb er Dir. Kein Zeichen sagt Dir, daß er Deiner gedenkt." „Wozu dergleichen, Vater? Zwischen Herzen, die einander gehören, bedarf es dieser Mahnungen nicht, die zweifelnde Liebe ersann." Am Ende des schmalen Ganges, der, in das Innere des Hauses führte, vor dessen Eingang Vater und Tochter dies ernste Zwiegespräch hielten, öffnete sich eine Thür.. Der flackernde Schimmer einer qualmenden Lampe drang heraus und eine herbe Frauenstimme rief Grunur beim Namen. „Grunur, Mann, wo bleibst Du? Hast Du den Gast vergessen? Eile Dich, Helga, daß wir die Mahlzeit bereiten." Helga nahm die Last seufzend auf und schlich hinter dem Vater drein, in das Eldhus, die Küche. Während die Eltern in der anstoßenden Stofa (Stube) verschwanden, trat sie an den kleinen primitiven Herd in der Mitte der Küche, schürte das rauchende Torffeuer auf, das in der wenig vertieften Feuerstelle des würfelartigen Gemäuers stackerte und hing einen Kessel darüber. Dann zog sie einen großen Fisch aus dem . Netz, tödtete und zerlegte ihn, und während die mächtigen Stücke in frischer Schafbutter über dem Feuer brieten, richtete sie die landesübliche abrestir (gesäuerte Schafmilch) in thönernen Näpfen an. Unterdessen hatte Grunur den Gast begrüßt. Die Männer hatten sich geküßt, die Hände geschüttelt und dann neben einander auf der Bettstelle Platz genommen. Rannweig, die Bäuerin ging in die Küche zurück, um Helga bei der Bereitung des Mahles zu unterstützen. „Segen ist über unser Haus gekommen," sagte sie, mit erkünstelt geschäftiger Freude. Der sehnsüchtige Freier harrt, sich mit der längst erkorenen Braut zu verloben. .Helga die Schöne' nennen die Leute Dich, .Helga die Glückliche' werden sie fortan sagen. Denn die reichste bondakona wirst Du, weitum, die glücklichste Frau an Islands Küsten." Helga schwieg zu den wohlberechneten Worten der Stiefmutter. Mit gesenktem Haupte hantierte sie im Hintergrund des spärlich erleuchteten Raumes. Als die Mutter sie anwies, getrockneten Fisch zn holen, den die Isländer mit besonderer Vorliebe und ohne weitere Zubereitung mit frischer Butter genießen, eilte sie aufathmend hinaus. In tiefen Athemzügen sog sie die reine, kühle Nachtluft ein, ehe sie über den Hof eilte, um das Gewünschte aus einem vogelbauerartig aus Holzstäben aufgeführten Bauwerk zu holen, an welchem halbierte Fische reihenweise zum Trocknen aufgehängt waren. Ehe sie in das Wohnhaus zurückkehrte, trat sie unter das niedrige bleigefaßte Fenster der Stofa und blickte traurig und prüfend auf den fremden Mann. Da saß er, der hartnäckige Freier, den sie dreimal fortqeschickt und der immer wieder, wahrlich zudringlich wie ein Hund, wiedergekommcn war, ihre Gunst zu erbuhlen. Nimmer gelingt ihm das! Schaudernd wandle sie sich von diesem nichtssagenden, breiten, verschlafenen Antlitz ab und vergegenwärtigte sich Bjarni's lebenssprühende Züge, wie sie ihn zuletzt geschaut, als er, Heimatsmilde, sie meueheischend auf den Mund geküßt, um hinaus in die Welt. zu ziehen, wo er I'ch ^Ehre und Ansehen erkämpfen wollte. Jn's Haus zurückkehrend, hörte sie Rannweig'sscharfeStimmesagen: „Reiche dem Gast die Schüssel und vergiß ihn nrcht zu begrüßen und ihm dienstbar zu lern, wie es die Sitte erheischt." Schweigend schickte sich Helga an, dem Befehl Folge zu leisten. 35 Von Rannweig gefolgt trat sie mit niedergeschlagenen Augen vor den Gast und stellte die dampfende Schüssel auf die Rista (Truhe), die an der Seite des Bettes stand. Dann reichte sie ihm. die Hand und duldete es, daß er sie auf den Mund küßte. Während Rannweig später die leeren Schüsseln hinaustrug und Grunur Branntwein, die Frauen nicht übergehend, herum- reichte, ließ Helga sich, althergebrachter Sitte gemäß, vor dem Gast auf die. Knie nieder und zogihmdieschwerenStiefel aus. Dann wollte sie sich in das Eldhüs zurückziehen. Rannweig aber gebot ihr zu bleiben und wies ihr einen Platz neben sich auf der Bettstatt an. „Bleibe bei uns, Helga, und höre mit an, was Petur uns Neues aus der Nachbarschaft bringt," sagte sie, mit Behagen von dem feurigen Trank nippend. Dann fuhr sie, zu dem Gast gewandt, fort: „Hörtest Du nicht auch. Neues von drüben, Petur? Du sprachst vorhin von Bjarni, der um fremde Weisheit zu erjagen, den heimischen Boden verließ und nimmer, noch weder durch Wort, noch Zeichen bewies, daß er der Zurückgebliebenen gedachte. Gieb Kunde von ihm." Petur sah schweigend vor sich hin. Nach einer Weile sagte er einsilbig: „Nicht müßt' ich Neues von ihm zu sagen, was nicht im Umkreis der Heimat schon die Runde gemacht hat, was Du so gut weißt wie ich." „Wiederhole es, damit der störrische Glaube dieses Mädchens gebrochen wird und es endlich willfährig neuem Glück ihr Herz erschließt, nachdem das alte, eingebildete in Trümmer gegangen. So höre denn, Helga, was ich Dir lange verschwieg, um Deinen gläubigen Stolz nicht zu knechten. Bjarni lebt —" „Er lebt!" schrie Helga in jauchzender Erwartung auf. „Verschließe Dein Herz der Freude! Bjarni lebt—," wiederholte Rannweig gewichtig, nicht aber lebt er Dir mehr. Er hat errungen was sein stolzer Ueber- muth begehrte, er zählt zn den Ange3*

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