Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

32 Kin kleines Wersehen. Eine vornehme 'Dame hatte kürzlich einen Bedienten in ihrenDienst genommen, dessen felsenfeste Treue ihr verbürgt wurde, dem aber die Natur keinen großen Theil Verstand gegeben hatte. Nach einigen Tagen fuhr die Dame aus, um Besuche zu machen, und als sie bereits im Wagen saß, bemerkte sie, daß sie die Visitkarten in 'ihrem Zimmer hatte liegen lassen. „Johann", rief sie, „ich habe meine Karten vergessen. Geh' und hole sie und behalte sie bei Dir!" Jener eilte in das Zimmer zurück, führte den erhaltenen Befehl aus und nahm seinen Platz auf dem Wagen wieder ein. Die Dame begann die Runde ihrer Besuche, und in jedem Hause, wo die Leute, denen sie einen Besuch zugedacht hatte, nicht zugegen waren, ließ sie eine oder zwei Karten abgeben. An dem letzten Hause sagte sie zu ihrem Bedienten: „Johann, hier gib drei Karten ab!" — „Das ist nicht möglich, gnädige Frau." — „Warum nicht?" — „Ich habe nur noch zwei. Treff-Aß und Pique-Sieben." — Der Bediente hatte in dem Zimmer seiner Gebieterin ein Spiel Karten genommen und in jedem Hause einige davon abgegeben. Jägerlatein. A.: „Ich sage Ihnen, es ist geradezu erstaunlich, wie weit die Intelligenz gewisser Thiere geht. Meine alte Diana verrichtet bei mir vollständig die Dienste eines Hausmädchens. Sie führt alle meine Aufträge in der Stadt aus, ohne jemals etwas zu vergessen." B.: „Das nennen Sie erstaunlich? Ich lernte auf meiner Reise in Hin- terindien einen alten Elephanten kennen, der ebenfalls zur Besorgung von allerhand Commissionen verwandt wurde. Dieselben wurden ihm am Abend vorher aufgetragen, und da das Thier, wie gesagt, bereits alt war und an Gedächtnißschwäche litt, so machte es sich jedesmal vor dem Schlafengehetz einen Knoten in den Rüffel!" Aie ausgerechnete Lebensdauer, Der englische Arzt Richardson gibt im „Longmans Magasine" ein sicheres Mittel an, die Lebensdauer eines jeden Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit im voraus zu bestimmen. Man braucht dazu nur die Lebensdauer der beiden Eltern und der vier Großeltern des Betreffenden zu addiren und die Summe mit sechs zu theilen. Die erhaltene Zahl ist voraussichtlich die gesuchte Lebensdauer. Richardson hat eine große Reihe von Todesfällen aus der Statistik mehrerer Lebeusversicherungsgesellschaftcn darauf geprüft und seine Theorie der Lebensdauer durchweg bestätigt gefunden. Schlimin ist freilich, daß die Berechnung nur auf Personen anwendbar ist, die bereits alle vier Großeltern und die beiden Eltern verloren haben. — Und wenn die Rechnung nicht stimmt, nun .. so ist es eben die Ausnahme, welche zu der^ Regel gehört. Kiue Berichtigung. Kürzlich wurde ein zu Zuchthausstrafe Verurtheilter perEisenbahn nachSpandau transportirt. Dort angekommen, öffnete der Schaffner das Coupe, in dem der Sträfling mit seiner Begleitung saß, und rief die üblichen Worte: „Spandau, sechs Minuten Aufenthalt." Der Ver- urtheilte aber erwiderte: „Ach nein, mein Jutester, drei Jahre!" Grane Augen. Lord Byron hatte einen wunderlichen Widerwillen gegen graue Augen. „Ihr seid junge Leute und könnt von dem Nutzen ziehen, was ich sage." äußerte er eines Tages, als von Physiognomik die Nede war. „Traut Niemandem recht, .der graue Augen hat!" „Sie haben ja selbst solche," ent- gegnete man. „O, es wäre für Manchen, der mit mir "zu thun hatte, gut gewesen, wenn er diese Regel befolgt hätte," war seine Antwort. Brautfahrt. Nachdruck verlöten. yJBA^ )' / blga stand am felsigen zB^yi Wt des Meeres, das A ^ine brandenden Wo- /\ \ Am brausend gegen die (d) I ^üste schmetterte nnd $ K_y/ blickte mit heißer Sehn- • . ^—<C. sucht, süße Schwermuth m den großen schimmernden Augen, über re Wellen, — weit hinüber nach Süden, wo sich der dunkelnde Abendhimmel über die tlefgrünen Wasser herniedersenkte. Ein Ruf aus rauher Kehle schreckt ile aus ihrer Traumverlorenheit auf. Seufzend bengt sie sich nieder und Yebl das volle Netz auf ihre Arme, das ver vom Rudern kommende Vater auf dem strand zurückgelassen und folgt ihm, der in ver Richtung eines isländischen Gehöfts, unweit des Strandes, in der rasch herein- vrechenden Dämmerung verschwindet. Müde setzt sie die kleinen, in Seehundsleder steckenden Füße vorwärts, mit schleppendem Gang, wie Füße dahin- schreiten, die ein schweres kummerbela- denes Herz zn tragen haben. Ehe Grunur, der Vater, den Eingang des Hofes betritt, blickt er zurück und winkt der Säumigen, ihm rascher zu folgen. „Hält's Dich am Strande, unkluges Mädchen?" rnft er unwirsch, als ihn Helga erreicht. „Dein Sehnen baut keine Brücke, schafft der Treue keine Flügel. Vergiß ihn endlich, der Dich längst im Strudel der falschen Welt da hinten vergaß. Greif nach dem neuen Glück, das die Heimat Dir bietet. Ehre meinen Willen und werde Petur's Weib. Mein Segen wird Friede in Dein bekümmertes Herz träufeln. Helga, Tochter, gieb den 3 Isländische Erzählung von A. von Kahn.

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