Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1896

was wohl nun geschehen werde. Die Nacht¬ wache war offenbar ganz und gar ver¬ geblich, aus dem Hause ist nichts ge¬ schafft worden, man hätte ja jeden Ver¬ such sofort wahrnehmen müssen. Der Re¬ spicient fühlt, was sich seine Leute denken und gleichsam zur Ermunterung bemerkt er den Gehilfen, sie sollen sich die ge¬ opferte Nacht nicht reuen lassen, die Visi¬ tation werde reichliche Beute ergeben, und jeder werde gut entschädigt werden durch den Antheil an den geschwärzten Waaren. 1 Noch hat der Beamte nicht ausgespro¬ chen, da öffnete Seppele die Thür und wünscht vergnügt den „Herren“ einen guten Morgen, zugleich fragend, ob den Herren nach der kalten Nachtwache nicht ein warmer Kaffee angenehm wäre. Es wäre freilich ein Kaffee aus der Schweiz; „aber wärmen wird er deswegen doch. Hihihi!“ Trotz dem Spott wäre den Leuten der warme Morgentrunk ganz erwünscht. Allein der Respicient verbietet sich jede weitere Be¬ merkung; die Abrechnung werde schon noch erfolgen, hoffentlich in den nächsten Stunden. „Ischt mir o röcht!“ sagt Seppele welcher das Lachen nur mühsam verbeißt „Aber bis die Visitationserlaubniß kommt, darf ich wohl dem Herrn Reschpicinenten einen Sitz antragen; das lange Stehen ischt so viel ungesund!“ Zum Hohn stellte Seppele einen Stuhl vor das Haus, um dann so¬ fort wieder im Hause zu verschwinden. „Warte nur, Lump!“ flüstert ingrim¬ mig der Beamte, „die Abrechnung kommt schon noch! Und dann freue Dich; in Ketten soll er hinaus transportirt werden, der Schuft!“ Stunde um Stunde verrinnt; die Dorf¬ jugend hat sich bereits vor dem Gehöft eingefunden und zeigt den Finanzern in angemessener Entfernung „lange Nasen“ Wohl jucken dem Personal ob solchen offenkundigen und wohl von den Elterr diesen Rangen angelernten Hohnes die Fäuste, aber der Respicient befiehlt Ruhe mit Kindern habe die Finanzwache nichts zu thun. Zu den Kindern kommen aber nun auch die Dörfler, Männer und Weiber, 15 Knechte und Dirnen, die im dichten Reigen um das Gehöft stehen in Erwartung kom¬ mender Dinge. Wie sie deuten und höhnisch lachen! Alles macht sich lustig über die Finanzer, die ins Haus möchten und nicht dürfen, welche auf geschmuggelte Waaren lauern und sie nicht heraus holen können. Wie es der Beamte vorausgesehen hat, so kommt es: auf der Straße wimmeln die Leute von Ischgl, die offenbar auch vor der Action verständigt sind, in hellen Schaaren heran; bei einem Kreüzgang sind nicht so viele Leute beisammen, als sich jetzt herandrängen, um Zeuge eines gro߬ artigen Ereignisses zu werden. Dem Beamten pocht das Herz, und die Galle tritt ihm ins Blut. Wenn jetzt die Erlaubniß von Inns¬ bruck ausbleibt, ist Amt und Ehre ver¬ oren! Er kann sich in dieser Gegend nicht nehr halten, und wenn die Finanzdirection Kenntniß von dem allgemeine Aufregung hervorrufenden Vorgehen des Respicienten erhält, wird es eine fürchterliche Rüge, wenn nicht Dienstentlassung absetzen. Und wer ist an all dem schuld? Doch nur der verruchte Seppele! Aber der Erfolg der Action kann ja gar nicht ausbleiben, und hat man erst das Schleichgut, dann ist ja die Finanzwache Siegerin, dann kann der Respicient lachen auf Kosten der Paznauner. Die Finanzer stehen wie die Mauern selber neugierig, was noch alles sich er¬ eignen werde. Die Verantwortung haben ja nicht sie, sondern der Vorgesetzte zu tragen, der, wie es scheint, eine böse Suppe sich eingebrockt hat. Auf der Straße von Ischgl her rollt ein Wagen. „Gott sei Dank!“ ruft leise der Respicient. Der abgesendete Finanzer springt vom Gefährt, eilt rasch dem Gehöft zu, drängt die Menge auseinander, die ihm spöttisch zuruft: „Noch einer!" und überreicht dem aufathmenden Beamten den sehnsüchtig erwarteten Drahtbericht. Ein Blick auf das Papier, und schon ertönt das Commando: „Alle Mann ertig, mir nach zur Visitation! Ein Mann hält Wache am Hausthor und weist die Menge zurück. Vorwärts!“

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2