verflossen und mit Beginn des Spätherbstes wird die Zollexpositur in Galtür ohnehin wieder aufgehoben. Es ist nun freilich die dritte oder gar schon die vierte Nacht, daß das Personal im Außendienst sich be¬ findet, aber das läßt sich zur Zeit nicht ändern. Auch wird ja der Beuteantheil die Leute entschädigen und der diesmalige Fang wird alle Mühe lohnen. Ohne sich um die umherlungernden Finanzer zu kümmern, tritt der Dorfwirth in das Haus, verweilt einige Zeit in dem¬ selben und verläßt dasselbe unter freund¬ lichem Zurufen an Seppele. Bald darauf kommt der Schuster. Trotz der bereits ein¬ getretenen Dunkelheit wendet er sich sofort an den Beamten, der sich am Gartenzaun niedergelassen hat, um seinem Bedauern Ausdruck zu geben, daß der Lehrbub die Stiefel statt zum Herrn Respicienten zun Höfler Seppele getragen habe. Der Beamte fertigt ihn mit einem Satz ab, der nichts mit einem Segenswunsch zu thun hat. „Mir aa reacht!“ meint der Schuster und geht in's Haus. Es ist inzwischen so finster geworden daß man die Hand vor dem Munde nicht mehr sieht, nur die Pfeifen der im Grase liegenden Finanzer glühen wie Johannis¬ käferchen. Drüben hinter dem Hause donnern die Wogen der seit dem letzten Gewitter wieder hochgehenden Trisanna, daß man ziemlich laut sprechen muß, um sich gegen seitig verständlich zu machen. Um sich die Langeweile zu vertreiben, hocken sich die Finanzer zusammen und erzählen sich ihre Erlebnisse aus den letzten strapaciösen Tagen „Der Seppele,“ meinte einer der Fi¬ nanzer, der muß Kräfte haben, wie einst der Kuhhaut=Christel, von dem die Chronik berichtet, daß er der stärkste Mann vor ganz Paznaun gewesen ist. Der Mann hieß Christian Bernhard. Ihm oder, wie es auch heißt, einem Nachbarn fiel eines Tages eine schwere Kuh in die hochgehende Trisanna, und rasch trieb das gurgelnde Gletscherwasser das brüllende Thier weiter, bis es zwischen Felsblöcken eingekeilt stecken blieb. Niemand wagte die Rettung der werthvollen Kuh; man scheute die Kälte 13 des Eisbaches wie die Gewalt der stür¬ misch dahineilenden Wellen, das Thier schien verloren. Da eilte Christian herbei, sprang in die Fluthen und löste die Kuh aus der Spalte. Mit raschem Griff seiner isenfesten Arme faßte er das Thier und legte es auf seinen breiten Rücken. Lang¬ am, aber sicher trug er die Kuh dann durch den tosenden Bach an's Ufer unter dem Jubel der Dörfler. Von dieser Stunde an wurde der tarke Mann in ganz Paznaun nur schlank¬ weg der Kuhhaut=Christel genannt, und die Kunde von seiner Riesenthat ver¬ breitete sich bis nach Innsbruck, wo sie am herzoglichen Hof große Theilnahme erweckte. Herzog Sigmund (eine Abschrift der Galtürer Chronik aus dem Jahre 1774 sagt, es sei Herzog Friedrich ge¬ wesen; auch wird das unwahrscheinliche Jahr 1654 als Zeit der Begebenheit an¬ geführt) wollte den Riesen sehen, der eine chwere lebendige Kuh zu tragen ver¬ mochte. Vielleicht trug er sich mit den Ge¬ danken, den Paznauner Recken unter seine Trabanten zu stecken. Der Kuhhaut=Christel wurde nach Innsbruck befohlen. Verlegen, geblendet von der fürstlichen Pracht in den Gemächern der herzoglichen Burg, stand Christel vor dem Landesfürsten und wußte nicht, soll er stehen bleiben oder nieder¬ knieen vor dem Herzog, der staunend den wuchtigen Körperbau des Bergriesen be¬ trachtete und den Wildling dann fragte ob er wohl seine gewaltige Kraft vor den Leuten zeigen könne. Sall könnt er wohl der Herzog sollt' nur sagen, wen er lupfen müßt', oder mit wem er robblen sollt'? Nicht raufen, aber ringen und fechten soll er mit dem stärksten der Leibtrabanten, befahl der Herzog, und dann wurde die Stunde bestimmt, in welcher der Kuhhaut¬ Christel vor dem Hof und vielem Volk eine Kraft an dem Trabanten zeigen solle. Nach der Chronik muß es ziemlich kräftig zugegangen sein. Christel erschien ohne Wehr, ihm genügten seine wuchtigen Arme, weshalb das Volk ihm zurief, wo er denn zum Fechten seine „Wehr habe Uebermüthig meinte der bärenstarke Paz¬
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