Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1896

ist, dann kann der Paß von der Grenz¬ wache besetzt sein, ehe die Pascher den Rückweg angetreten haben. Doch wer bürgt dafür, daß der Malefiz=Schuster die Wahr¬ heit gesagt hat? Ist Seppele aber schon gestern fort, dann haben die Schwärzer die Grenze längst überschritten und Fuchs wird auch zu spät auf's Joch gekommen sein. Und was ist Einer gegen die ver¬ einigte Bande! Vielleicht liegt Fuchs schon erschossen auf dem Eise des Gletschers! Dann hat der Vorstand den Mann geopfert! Man schickt nicht einen Mann allein aus gegen einen Trupp wohlorganisirter Schwärzer, den Mann hat dann der Re spicient auf dem Gewissen, wehe, wenn die Direction davon Kenntniß erlangt! Es riert dem Beamten bei diesem Gedanken wiewohl ihm der Schweiß aus allen Poren dringt. In mühsamem, angestrengtem Steigen ist der Almgrund von Schnapfentheja er¬ reicht. Wie ausgestorben erscheinen die Hütten, nur das Unwetter tobt mit der vollen Wucht der entfesselten Elemente, das Eis am nahen Ferner kracht und bildet Spalten. Wehe dem, der das Gletscher¬ neue feldjetzt zu überschreiten hat! „Die Almhütten revidiren!“ befiehlt mit zitternder Stimme der erregte Beamte und gleich darauf dröhnen die Kolbenstöße anden Hüttenthüren. „Hieher!“ ertönt ein Ruf durch den brausenden Sturm, und bei dem schwin¬ denden Tageslicht eilt die Mannschaft mit dem Respicienten der Hütte zu, aus welcher Ruf ertönte. der Auf der Bettstatt der Sennerin liegt Fuchs mit schrecklich aufgeschwollenem Kopf schier unkenntlich, stöhnend vor Schmerz. Zischkerl und die Sennerin sind eifrig be¬ müht, durch aufgelegte frische Erde dem gräßlich zugerichteten Kopfe des armen Finanzers Kühlung zu verschaffen. „Was ist geschehen?“ fragt der Re¬ spicient. „As sall wissa mir nit!“ antworten die Mädchen. „Der Fuchs ist ja furchtbar zugerichtet, gräßlich zerstochen von Insectenstichen! 9 „Ich hab' ihn an der Firnzunge liegen gefunden und den Armen auf Schnapfentheja heruntertragen lassen. Mehr woß i nit!“ betheuert Zischkerl. „Pflegt ihn weiter! Und nun marsch aufwärts, wir müssen das Joch noch be¬ etzen vor dem völligen Einbruch der Nacht! befiehlt der Respicient. Seufzend vor Ermattung gehorcht die kleine Mannschaft dem Befehl und klettert im strömenden Regen aufwärts der Gletscher¬ zunge zu, bis der hochgeschwollene Eisbach Halt gebietet. Ein alter Finanzer, ergraut in dem beschwerlichen Dienst, warnt nun Un¬ vor jeder Ueberstürzung, denn das wetter hat das Eisfeld verändert, ein Be¬ treten desselben jetzt bei Nacht bedeutet icheren Tod. Sind die Schwärzer noch oben, dann rennen sie selber in's Verderben und sind sie vorher herunter, dann nützt alles Hinaufstürmen ohnehin nichts mehr. Der Logik dieser Ausführungen kann ich der erbitterte Respicient nicht verschließen, aber umzukehren kann er nicht über sich bringen, es muß wenigstens die Nacht über gewartet werden, ob nicht doch die Schwärzer irgendwie noch den Abstieg ver¬ suchen. Die wetterharten Gesellen könnten doch trotz allen Gefahren der neu gebil¬ deten Spalten die Ueberschreitung des Eis¬ feldes erzwingen wollen, das schauerliche Unwetter begünstigt ja den nächtlichen Marsch. Hinter Moränenblöcken versteckt lauert die Finanzwache nun die kalte Nacht hindurch auf die Schwärzer, naß bis auf die Knochen, frierend, die Büchse krampfhaft in den erstarrten Händen hal¬ tend. Und wenn die müden Augen zufallen wollen, reißt das Pflichtgefühl die Lider wieder auf; der unerbittliche Dienst kennt keine Ruhe, kein Erbarmen. Auch der Re¬ picient ist müde und matt zum Umfallen, doch darf er am allerwenigsten der Körper¬ chwäche nachgeben; er ist der Chef und muß der Mannschaft ein Beispiel von unentwegter Diensttreue geben. Langsam vergeht die Nacht. Der Regen hat aufgehört, dichter Nebel erfüllt den Thalkessel auf der unwirthlichen Höhe; nichts hat sich ereignet, Niemand ist ge¬

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