zuvor der Zeymser Bach sich ergießt, der Jamthaler Bach, und diese drei Gletscher¬ wasser zusammen bilden den Dreibach, die böse Trisanna. Dort liegt ein einsames Gehöft, desser Besitzer ein richtiger Almbauer ist, ein erfahrener Senner, vertraut mit Wiese un Eis, bekannt mit jedem Steig und Paß dieser großartigen Gletscherwelt. Ein wetter harter, sehniger Mann mit scharfgeschnit¬ tenen Zügen und listig funkelnden Augen verschlagen wie Fuchs und Katze, der ganze Bergmensch, der mühselig seine Wirthschaft betreibt, dabei aber stetig Augen und Ohren offen hält, um zu erfassen, wo es etwas zu verdienen gibt. Sein Sprichwort: „Was nutzt mi' a guete Kueh, die, wenn i die g'molcha hon, d' Milch ausschlöt (aus chleckt)“ ist typisch für den Bauer. Den Paznauner Spruch: „Wer nie nuit (nichts) wagt, der nie nuit hat; wer alli (immer wagt, der alli hat“ machte auch der Höfler zu seinem eigenen. Er war der Waghals auf allen Gebieten. Schon das Bewohnen des Gehöftes am häufig überschwemmten Ufer der Trisanna ist ein Wagniß, allein den Hof hat der Höfler geerbt, wie sein Vater auch vom Großvater, und sind die nicht ertrunken oder weggeschwemmt worden so wird wohl auch er darauf sitzen können nach dem Grundsatz: „Besser öppas ver¬ hockt as dersprunga!“ (Besser ersessen als ersprungen.) Verwegen ist der Höfler Seppele von Kindsbeinen auf gewesen, und je strammer der Bursch heranwuchs, desto kecker wurde er im Zugreifen nach Nebenverdienst zur harten Bauernarbeit. Seine zähe Körper¬ kraft kam ihm gut zu statten beim Last tragen, wie sein Schweigen in Dingen, vor denen die Grenzaufseher nichts erfahren sollten. Seppele ward allgemach ein ver¬ wegener und verschlagener Schwärzer von Kaffee und Tabak aus dem Engadin her¬ über über den Jamthaler Gletscher, ein Pascher von Ruf unter seinen Landsleuten. Ihm glückte es immer, den Finanzern, wie die Grenzaufseher im Volksmund genannt werden, heil zu entrinnen, und stets brachte er auch die Waare herüber, mochten die 3 Finanzer auch in Schaaren hinter Eisblöcken lauern oder auf der Jochhöhe auf ihn warten. Wenn die Grenzer ausgekundschaftet hatten, daß Seppele hinüber ist, gemäch¬ lich mit der Pfeife im Munde gen Alm dann war Hundert gegen Eins zu wetten, daß der Bauer zwei Tage später mit der Schmuggelwaare wieder in Galtür sein wird, gleichviel, ob die Finanzer einen lebendigen Cordon über die Ferner gezoger oder die Pässe stark besetzt hatten. Seppele war nie zu fangen, selbst das Radical mittel, vor seinem Gehöft auf ihn zu warten, erwies sich wirkungslos. Lauerte ein Grünrock vor seinem Hause oder in nächster Nachbarschaft, so kam der Bauer mit leeren Händen heim, und auf die ärgerliche Frage des geprellten Finanz= organs hatte der listige Höfler dann die stehende Antwort, er sei sehr erfreut über die ihm erwiesene Aufmerksamkeit, allein er habe nichts bei sich, und der Herr Finanzer wartete vergeblich auf die längst geborgene Waare. Seppele war übermüthig genug den enttäuschten Grenzer auf ein „Lackele geschwärzten Kaffee einzuladen, und auch eine Pfeife voll Schwyzer Tabak bot er gern an zum hellen Aerger des Verhöhnten Unter den Paznaunern sprach sich diese Findigkeit des Seppele bald herum. Alles war einig, daß der Höfler ob seiner Un¬ erwischbarkeit der geborene Anführer der Schwärzertruppe sei. Er wurde denn auch im geheimen Conventikel zum „Capo“ er¬ wählt. Hatte Seppele bislang auf eigene Rechnung und Gefahr centnerweise Waaren herübergeschmuggelt, so organisirte er als Führer das Schmuggeln im Großen und mit einer Verschlagenheit, die das Grenz¬ personal geradezu in Verzweiflung brachte Am helllichten Tage zogen die Burschen ins Jamthal, leere Säcke auf dem Rücken, und wer sie fragte, wohin die Reise ginge, erhielt unter listigem Augenzwinkern die harmlos klingende Antwort: „Anki af d Alp zu da Madla!“ Damit war auch für die Galtürer das Zeichen gegeben, Ohren und Augen offen zu halten und jede Action der Grenzer sorgsamst auszuspähen. Kein Finanzer *
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